Dem Wunsch einer Hörerin über Fassadenbegrünung zu sprechen, komme ich natürlich sehr gerne nach.
Bei Simple Smart Buildings geht es ja prinzipiell darum, Baukonstruktionen, Baustoffe zu besprechen, die sich schon über sehr lange Zeiträume bewährt haben. Es geht um das Erfahrungswissen, das unser baukulturelles Erbe repräsentiert und wenn ich in diesem Zusammenhang an Fassadenbegrünungen denke, da fallen mir die Spalierbäume ein. Wenn ich jetzt aus dem Fenster meines Büros in Hallstatt blicke, da ragt so ein Zweig eines Spalierzwetschgenbaums von außen beim Fenster herein. Und bei diesen Spalierbäumen in Hallstatt im Salzkammergut, da denke ich auch an historische Darstellungen. Es gibt eine Ortsansicht aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, wo bereits an einer Südostfassade ein Spalierbaum dargestellt ist. Und dieser Begriff des Spaliers, der kommt aus dem italienischen, also der Stamm, der Wort Stamm ist eigentlich sehr alt, kommt letztlich aus dem lateinischen Spatula Schulterblatt. Daraus wird die Schulter und im übertragenen Sinn, wie man eben sagt, sich jemandes Schulter zu lehnen, die der Stütze.
Spaliera ist dann die Stütze und die kommt in der italienischen Gartenbaukunst etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts aus. Es kommt eben dann auch nach Frankreich, wo es in der französischen Gartenkunst, wo man ja diese exakten geometrischen Formen bevorzugt zum Espalier.
Und auch zu uns, und ich denke in eine doch so entlegene Gebirgsregion wie dem Salzkammergut, dass es da schon quasi 100 Jahre nach dem Aufkommen dieser italienischen Spaliera bereits Spalierbäume gibt, finde ich eine sehr schnelle Ausbreitung dieser Idee und spricht natürlich dafür, dass sich dieses System bewährt hat. Und generell bei Baukonstruktionen, die sich halten, die sich bewähren, da geht es ja auch immer um die gute Wartbarkeit. Wie kann man ein System warten? Wie kann man ein System nutzen? Und da denke ich, das funktioniert immer dann gut, wenn die Nutzer, die Bewohner des Hauses einerseits die technischen Möglichkeiten besitzen, das System einmal möglichst vielleicht sogar selbst anzulegen, aber eben selbst zu warten. Bei diesen Spalieren kommt natürlich ein ganz besonderer Effekt noch dazu, dass die auch Früchte abwerfen. Und wenn ich jetzt an diese Ernährungssituation im Salzkammergut im 18. Jahrhundert denke, wo man ja letztlich auf Nahrungsimporte angewiesen war, wo Getreide zum Teil bis von Ungarn im Gegenzug Donauaufwärts, Traunauaufwärts nach Hallstatt gebracht wurde.
Wo aus umliegenden Gemeinden Butterschmalzhaus eine sehr kärgliche und sehr eindimensionale Kost, da war natürlich Obst etwas ganz Besonderes und darum glaube ich auch, dass sich hier so früh dieses Spalierobst durchgesetzt hat. Worum geht es prinzipiell? Es wird an die Fassade des Hauses, und da geht es natürlich um sonnenbegünstigte Lagen, das sind in erster Linie Südostfassaden im Ortszentrum, und an eine solche Fassade wird ein Rankgerüst befestigt. Dieses Rankgerüst besteht aus relativ dünnen Holzlatten mit Querschnitten von vielleicht drei mal maximal fünf Zentimeter, vielleicht sogar noch kleiner und diese Latten übernehmen letztlich die Geometrie der Fassade. Diese historischen Fassaden sind ja alles sogenannte Lochfassaden, wo die Fenster sehr wohlproportioniert, Nicht übergroß in dieser Fassadenfläche sitzen diese Fensterbildenden Rechtecksmuster und quasi ist ja auch dieses Rankgerüste eine fraktale Wiederholung dieser Fassadenstruktur. Weil natürlich diese Fassaden alle mit Dächern ausgestattet sind, die einen entsprechenden Dachvorsprung besitzen und damit die Fassade vor Beregnung, vor Bewitterung weitgehend schützen, sind natürlich auch diese Spaliere, diese sehr zarten Holzgerüste in ihrer Position knapp an der Fassadenfläche natürlich entsprechend witterungsgeschützt. Es ist eine Kombination aus vertikalen und horizontalen Latten. Dabei sind im Regelfall die vertikalen Latten mit entweder Mauerhaken ursprünglich oder heute mit Schrauben an die Fassade angeschraubt. Also die stehen in direkter Verbindung mit der Fassade. Und die zweite Ebene, die Ebene der horizontalen Latten, ist dann auf diese erste Lattenebene ebenfalls wieder aufgeschraubt oder früher mit schmiedeisernen Nägeln aufgenagelt. Hier gibt es dann einen Abstand von vielleicht zwei bis drei Zentimetern von der Fassade weg Und da besteht dann die Möglichkeit, die Äste des Spalierbaums an diese Latten, an dieses Rankgerüst, an dieses Traggerüst anzubinden. Und da denke ich, funktioniert ja ein sehr interessanter Prozess, dass man die ursprüngliche Naturform des Baumes, der ja mit seiner Krone letztlich dreidimensional ist, dass man den mehr oder weniger verebnet in eine nur zweidimensionale Ebene parallel vor der Fassade Und dass man auch die Wuchsrichtung der Zweige diesem rechteckigen Muster des Spaliers und letztlich der Fassade anpasst, dass man die ursprüngliche Naturform zu einer geometrischen, künstlichen Form macht. Also hier denke ich, wird sehr schön der Übergang von der Naturform zur Kulturform lesbar. Von den Baumarten, von den Gehölzen sind das immer Obstgehölze, was beliebt ist in diesen doch eher schwierigen klimatischen Bedingungen. Das ist die Birne, das ist die Zwetschge, für meine deutschen Hörerinnen und Hörer die Pflaume. Es sind auch manchmal, wenn die Fassade doch eine starke Südausrichtung hat.
Auch die Marillen oder hier auch wieder für die deutschen Hörerinnen und Hörer die Aprikose. Die braucht aber schon besondere Standorte und natürlich sind hier alte Obstsorten. Das ist ja ein ganz ähnlicher Prozess wie das Prinzip der Simple Smart Buildings, wo es um Bauteile und Konstruktionen und Materialien geht, die sich bewährt haben. Es ist bei diesen alten Obstsorten so, dass es diejenigen Sorten sind, die sich in einem bestimmten lokalen Klima entsprechend bewährt haben. Natürlich, mit klimatischen Veränderungen kann man ja den Blick ein bisschen weiter bis jetzt ist in etwas wärmere Gegenden werfen und schauen, was hat sich dort bewährt.
Und das ist vielleicht, da geht es jetzt schon ins nächste Thema, in dieses Mikroklima. Dieser Spalierbaum, diese Fassadenbegrünung funktioniert sehr symbiotisch mit dem Gebäude, mit der Fassade. Denn diese Fassaden sind bei diesen traditionellen Häusern im Regelfall aus Bruchsteinmauerwerk, aus sehr dicken Bruchsteinmauerwerk. Der Raum, in dem ich sitze, der hat jetzt etwa 90 Zentimeter dicke Bruchsteinmauern. Die sind sowohl innen wie auch außen mit einem Kalkputz versehen. Das heißt, die sind nicht mit irgendwelchen Dämm-Ebenen versehen, sodass der Energieaustausch zwischen außen und innen eigentlich relativ schnell funktioniert. Das heißt, jetzt, ich nehme diese Episode zwei Tage nach der Sommersonnenwende aus. Also wenn diese Fassade stark besonnt wird, dann dringt natürlich die Energie in die Fassade ein, weil aber der Weg von außen nach innen sehr lang ist. Und da geht es auch um das Prinzip der Wärmediffusivität. Über dieses Phänomen habe ich mit dem Kollegen Kain schon eine Episode dieses Podcasts aufgenommen. Ich werde auf alle Fälle einen Link zu dieser Episode in die Podcast stellen. Das heißt, es dauert sehr, sehr lange, bis dieser Wärme, die jetzt an einem heißen Sommertag außer an der Fassade auftrifft, innen ankommt.
Es ist im Regelfall so, dass es hier im Innenraum aufgrund dieser starken Mauern eigentlich bis in den Nachtstunden relativ kühl bleibt. Wenn es ab Land draußen schon kälter ist, wenn die Temperatur außen niedriger ist als innen, dann kehrt sich natürlich der Wärmestrom um und strömt dann in der Nacht von innen nach außen. Und da geht es einfach um das Wärmespeicherpotenzial dieser massiven Wandkonstruktionen und aufgrund dieses Wärmespeicherpotenzial, aufgrund dieses Austausches mit der Speichermasse und den Bauteiloberflächen entsteht auch an der Außenfassade ein Mikroklima, wo einerseits in den heißen Tagstunden die überschüssige Wärme quasi von der Speichermasse aufgesogen wird und in den kühlen Nachtstunden wieder nach außen abgegeben wird, sodass in einem Bereich von wenigen Dezimetern vor der Fassade und natürlich in genau der Ebene, wo sich der Spalier und der Obstbaum befinden, dass dort ein ganz besonderes Mikroklima herrscht, das auch empfindlichen Obstsorten die Existenz in einem Raumgebirgsklima möglich macht.
Jetzt gibt es natürlich die Winter- und die Sommersituation. In der Wintersituation sorgt dieses Mikroklima und da geht es natürlich nicht nur um Wärme, um Sonnenwärme, die von außen kommen, in der Fassade eingespeichert wird. Da geht es natürlich auch um den Wärmefluss durch die Fassade von innen nach außen, wenn man im Winter heizt. Und auch das finde ich ein schönes Bild, dass ja diese Wärme nicht verloren ist. Es ist ja das generelle Bild, sobald man im Winter heizt und das Gebäude nicht dämmt, geht die Wärme nach außen verloren.
Hier, wenn man einen Spalierbaum hat, trägt natürlich diese Wärme in dieser außenliegenden Mikroklimaschicht im Winter dazu bei, dass der Baum nicht vom Frost beschädigt wird und auch das empfindliche Obstgehölz hier über, wie es bei den alten Spalierbäumen ist, Jahrzehnte, ja vielleicht sogar Jahrhunderte überleben kann. Also hier vielleicht ein kleiner positiver Nebeneffekt, der im Winter nach außen drängenden werden wird. Im Sommer ist natürlich, und das ist jetzt der Kernbereich dieses Begrünungsthema, der Kühleffekt. Im Sommer wirkt sie insofern sehr, sehr symbiotisch, weil, und das ist natürlich auch klar, es geht um die Belaubung. Im Winter ist der Baum unbelaubt, da kann die wesentlich geringer vorhandene Sonnenwärme dennoch im Prinzip ungehindert in die Fassade eindringen.
Im Sommer eschattet der belaubte Baum die Fassade und verhindert das übermäßige Aufheizen der Fassade. Dazu kommt natürlich noch ein zweiter Effekt und das sind diese sogenannten Adiabaten-Kühleffekte. Adiabate-Kühleffekte treten immer dort auf, wo Verdunstung stattfindet. Bei Verdunstung geht ja das Wasser vom flüssigen in den gasförmigen Zustand über Und für diese Phasenübergänge ist überproportional mehr Energie erforderlich. Das heißt, der Energiebedarf zum Beispiel bei Wasser, um es wirklich zum Kochen zu bringen, also wirklich von 95 Grad auf 100 Grad zu kommen, eben dann diesen Phasenübergang von flüssig zu gasförmig zu schaffen, Dieser Phasenübergang braucht wesentlich mehr Energie als in dem Bereich, wo man sich den 100 Grad nährt, also zwischen 80 und 90 Grad braucht man weniger Energie, um diese Erwärmung zu bewerkstelligen, als zwischen 90 und 100 Grad. Bei der Verdunstungsenergie ist es ganz ähnlich. Damit dieses Wasser über die Blätter verdunsten kann, wird sehr viel Energie benötigt und diese Energie wird der Umgebungsluft entzogen und darum kühlt diese Verdunstung der Blätter die Fassade zusätzlich. Also wir haben einerseits den Effekt der Beschattung, andererseits den adiabaten Kühleffekt über die Verdunstung der Blätter. Woher kommt dieses Wasser? Natürlich kommt dieses Wasser, das über die Blätter verdunstet, aus dem Boden. Das entzieht ja der Baum mit seinen Wurzeln der Erde. Und das ist ein zusätzlicher Effekt. Dadurch wird natürlich der Sockelbereich des Hauses trocken gehalten, gerade im Sommer. Also auch hier passt es wieder saisonal. Im Winter ist ja die Luft sehr trocken, also Feuchtigkeitsprobleme gibt es ja im Winter so gut wie keine. Also im Winter aufgrund der geringen Luftfeuchtigkeit trocknen die Materialien gut auf. Im Sommer hingegen, wenn zum Beispiel an diesen kalten Wandoberflächen feuchtwarme Luft auftrifft, kommt es zur Kondensatbildung und im Sommer durchfeuchtet die Mauer. Aber der Obstbaum entzieht durch seinen Wurzeln genau im Sockelbereich die Feuchtigkeit und bringt sie an der Fassade zum Verdunsten. Also haben wir hier noch einen zusätzlichen Effekt der Mauertrockenlegung.
Ein großes Thema ist natürlich bei all diesen Systemen die Wartung und da glaube ich, das funktioniert dauerhaft, so wie natürlich die historischen Beispiele belegen, nur an Häusern, wo das für die Benutzer möglich ist, dieses System zu warten. Und ich bin sehr, sehr skeptisch, ob bei großen mehrgeschossigen Bauten, die auch anonymisiert sind, wo sich der einzelne Bewohner ja gar nicht so sehr für das Gebäude, für das Dach, für die Fassade verantwortlich fühlt, sondern lediglich für seine vier Wände innen, dass dort auch, denke ich, Fassadenbegrünungen auf lange Sicht nicht funktionieren, weil sie einfach nicht gepflegt werden. Wenn allerdings diese Fassadenbegrünung vor dem eigenen Haus stattfindet, wenn dort ein Spalierbaum steht, wenn das Haus vielleicht zwei Geschosse hoch ist, wenn das Spalier einfach wartbar ist, indem man selbst eine Leiter aufstellt und selbst diese Arbeiten durchführt, dann funktioniert das, wie diese Beispiele von denen ich gesprochen habe. Ja, zeigen funktioniert das sehr lange, weil ich glaube, Die süßen Früchte, diese Erkenntnis, das ist das Obst. Ich denke, dieses Obst, das diese Spalierbäume dann im Herbst zur Ernte liefern, das ist eine sehr starke Motivation, das Spalier, die Fassadenbegrünung auch dauerhaft zu pflegen, den Spalierbaum zu ziehen oder wie es manchmal sogar heißt, zu erziehen und immer wieder Schnittarbeiten durchführen, Servicearbeiten des Rankgerüstes.
Das ist es, glaube ich, was es ausmacht, dass die Wartung wirklich für die Nutzer des Hauses attraktiv wird und aus dieser Motivationslage dieses wirklich symbiotisch mit dem Gebäude funktionierende Fassadebegrünungssystem über Jahrzehnte, ja über Jahrhunderte erfolgreich funktioniert.