Simple Smart Buildings

Simple Smart Buildings

Transkript

Zurück zur Episode

Friedrich Idam:

Heute zu Gast in Simple Smart Buildings, Michael Zinner. Michael Zinner ist Architekt, er hat an der TU Wien Architektur studiert und aus diesem Zeitraum kennen wir uns beide, wir haben miteinander studiert. Michael Zinner hat dann im Architekturbüro Wimmer mit dem Schwerpunkt Wohnbau gearbeitet, die Ziviltechnikerprüfung absolviert und dann als Gründungsmitglied das Büro Wehrkraft ins Leben gerufen. Nach sechs Jahren Praxis ist Michael Zinner in die Lehre gewechselt und hat jetzt an der Kunstuniversität Linz einen Lehrstuhl inne, und in diesem Lehrstuhl geht es um Entwerfen. Es ist ein Entwurfslehrstuhl und es geht um Architektur und Schulraumkultur. Heute in unserem Gespräch soll es um die Tiefen der Architekturbildung gehen. Michael Zinner publiziert regelmäßig in den Notizen für Architekturbildung zu architekturtheoretischen Themen, zu Themen der Architekturbildung und da habe ich einen Artikel von dir gelesen, den ich sehr spannend gefunden habe. Du beschreibst darin, dass wir ja in der Zeit immer kulturell bedingte Seehorizonte haben, dass wir nur Dinge sehen, die wir wissen. Und auch, und das habe ich sehr spannend gefunden, dass wir unsere eigene innere Verfassung, zum Beispiel der Leistungsbezogenheit, auf unsere Art, Architektur zu machen, projizieren. Ich kenne dich als sehr leistungsstarken, ehrgeizigen Menschen? Warum bist du überhaupt draufgekommen, dass sich deine Leistungsstärke, dein Optimieren, der Maßstab, den du an dich selbst anlegst, warum sich der in deiner Architektur abbildet?

Michael Zinner:

Ja, hallo. Grüß Gott auch an die Hörerinnen und Hörer. Ich freue mich sehr, dass ich heute mit dir, wir sind ja bei Du, weil wir uns ja schon seit Jahrzehnten quasi kennen, und eine Distanzfreundschaft erhalten. Ich freue mich sehr, dass ich da jetzt Gast sein kann. Und wow, Fritzi, danke, du bist gleich voll in die Tiefe hineingesprungen mit der ersten Frage.

Ja, warum das so ist, ich habe das nicht durch das Herumsitzen und dann auf einmal mir selber so quasi bewusst gemacht, sondern ein großer Umweg hat hier stattfinden müssen, um diese Erkenntnis klar zu kriegen und jetzt nicht nur für mich persönlich, sondern der Anspruch ist ja, diese Erkenntnis sozusagen branchenbezogen oder im Kollektiv und nicht nur fürs Individuum eher zu denken und zu beschreiben. Und der Umweg war die Dissertation, die ich an der Kunst-Uni gemacht habe, die zum Thema Schule formal offiziell gestartet ist, also dachte ich mir. Es war immer klar, entweder Wohnbau oder Schulbau, weil die beiden Bereiche des Bauens die wesentlichen in unserer Gesellschaft sind. Der Wohnbau, die große Masse. Der Schulbau, die größte Masse, auch die im Wettbewerbsbereich von Architektur, die öffentliche Baustelle, metaphorisch gesprochen, ist, die für die Weiterentwicklung der Architekturdisziplin herhält. Weil die Architekturdisziplin ja eine ist, die von der angewandten Forschung lebt. Das heißt, jeder Entwurf ist ein weiterer Beitrag dazu. also habe ich Schulbau gemacht. Und im Zuge der Forschung, um das ganz kurz zu sagen, habe ich drei, wie hat sechs Jahre gedauert, die Dissertation, habe ich drei Schritte erlebt. Zuerst dachte ich, ich schreibe über Schulbau. Dann habe ich gemerkt, nein, ich schreibe nicht über Schulbau, ich schreibe über die Prozesse im Schulbau. Ja, das heißt, wie wird das gemacht? Wie sind die Verhältnisse Auftragnehmer, Auftraggeber, Nutzerinnen? Dazu noch die Schulverwaltung und die Schulbauverwaltung und die Öffentlichkeit. Also ich sage mal sechs Player gleich im ersten Aufzählen, sechs Kräfte im System. Und habe mir das angeschaut und habe dann angesichts meiner Kooperation mit Non-Konform-Architekten, die ja in der Partizipation sich in Österreich und Deutschland einen Namen gemacht haben mit ihrer Ideenwerkstatt, habe diese dabei auch untersucht und beschrieben und selbst auch mitgemacht. Das heißt, ich habe selbst mich ins Forschungsgebiet selbst hineinbegeben. Wir haben einige Schulen dann mit der Non-Konform-Ideenwerkstatt entwickelt, Unter anderem Donawitz und Deutsch-Feistritz, alles Schulen in der Steiermark. Komischerweise mein Heimatsland, ohne dass ich das beabsichtigt habe, Klammer zu. Und habe dann diese Prozesse studiert, auch die partizipativen, also die Schwierigkeit oder wenn du so willst, die Emulsion von formalem Prozess und informellen Kräften und Begehren.

Das werde ich jetzt noch nicht weiter ausführen. Können wir später noch darüber reden, was das für eine illustre Situation auch historisch ist. Und bin dann im dritten Schritt meiner Dissertation, aber auch davon wieder abgekehrt. Ich bin immer sozusagen an ein Ende gekommen von Verständnis und Verstehen. Zuerst im Schulbau, dann im Prozess zum Schulbau. Und bin dann in der Person, in den handelnden Personen gelandet, die ja die Prozesse wesentlich ausmachen. Und meine Inspirationen oder meine Nährböden waren eben dann schon lange nicht mehr in der Architektur zu finden, sondern in der Philosophie, in der Bewusstseinsforschung, in der Entwicklungspsychologie der Erwachsenen, ein eigenes Kapitel, das es seit den 1970er Jahren gibt.

Und dann eben auch in der angewandten Weise in den Wirtschaftswissenschaften, in den Managementwissenschaften. Das war dann so in den 2010er Jahren so auch ein Hype, wo dann mit Otto Schumer, ein Deutscher, der am MIT Karriere gemacht hat, sehr wesentlich war, der mit seiner Denke und auch seinem Herunterbrechen von Begrifflichkeiten ein erstes schnelles Erfassen in unserer Welt möglich gemacht hat. Das Schlüsselwerk dazu heißt U-Theorie, deswegen U, weil er einen Prozess beschreibt, der eine U-Form hat und daher hat er seine Theorie auch so genannt. Und daraufhin gab es dann noch einen angewandten Schreiber, der Frédéric Laloux, Sohn von deutsch-französischen Eltern, der lange bei McKinsey, so ein Partner, wenn mich nicht alles täuscht gearbeitet hat und der dann sich hingesetzt hat und gesagt hat, ich mache da nicht mehr mit, ich schreibe jetzt ein Buch. Und der Organisationslehre thematisiert hat. Wesentlich sind dann auch noch zwei andere Leute gewesen, Jean Piaget und die Jane Loevinger, also aus der Entwicklungspsychologie. Aber kurzum, ich war dann mittendrin in einer Erforschung dessen, was Bewusstsein ausmacht und bewirkt in unserer Welt. Und zwar auf zwei Ebenen, die du auch getrennt besprechen kannst und die natürlich immer zusammenhängen. Die persönliche Ebene, also dein eigenes und die Kollektive, also sei es in einer Branche oder in einer Zeit der Welt.

Und wenn ich hier Bewusstsein sage, meine ich folgendes, um das den Hörerinnen und Hörern verständlich zu machen, nämlich die Art und Weise, wie du dir einen Reim auf die Welt machst, wie du Welt liest und verstehst und dir zu einer Bedeutung erklärst, das ist sozusagen dein Stand der Dinge. Das ist zu unterscheiden von Wissen und Intelligenz, weil du kannst etwas technisch kognitiv im Kopf verstehen, aber deswegen dieses Wissen vielleicht noch nicht in deinem automatisierten Handeln ohne Denken schon integriert haben. Und dieser Unterschied ist sehr wesentlich, ist auch auf Universitäten nicht unbedeutend. Also wenn zum Beispiel alle wissen, dass man sie im Sinne einer Zeit von heute sehr ökologisch denken und äußern muss, aber das noch nicht in ihren eigenen Handeln integriert haben. Klammer auf, bitte mich nicht hier moralisch missverstehen. Ich will hier nicht sagen, jeder muss das und das und niemand darf mehr fliegen oder so, sondern dass du als Intellektueller das denkst, aber selbst gar nicht auf die Idee kommst, über dich beim Handeln darüber nachzudenken. Das meine ich nicht moralisch, sondern bewusstseinsmäßig.

Und das ist so ein Umstand, der ist wichtig. Und den habe ich mir natürlich dann in Bezug auf unsere Branche angeschaut. Und das habe ich in vielerlei Sektoren und Aspekten dann durchdekliniert in der Dissertation. Um jetzt ein Beispiel zu nennen, von den mittelalterlichen Zünften kam es dann zu einer... Im Zuge der Modernisierung im echthistorischen Sinne und Sektoralisierung unserer Welt kam es ja dazu einer ganz anderen Verständnisweise, wie wir Gesellschaft bauen. Ein Stück weit weg von der Hierarchie hin zu einer Parallelität von Silos. Ja, so da gibt es die Geschäfts-, die Wirtschaft, da gibt es die Freizeit oder so. Das war ja früher gar nie der Fall. So hast du nie Gesellschaft gelesen und eingeteilt. Und so gibt es jetzt sozusagen aus dieser Idee der Zünfte heraus dann auch irgendwann eine Standesvertretung. Da ist noch ein Stück weit was vom mittelalterlichen Vor-Europa, Alteuropa, Verzeihung, zu hören, Standesvertretung. Also es gibt jetzt Kammern. In unserer Zeit, Fritzi, als wir in Wien studiert haben, ist die Geburtsstunde der IG-Architektur gewesen. Ein viel aktiveres, schnelleres und lebendigeres Netzwerk eines Zusammenschlusses, das sich mit der Zeit auch formalisiert hat und jetzt sind auch ganz viele unserer damaligen Mitstreiter ja selbst in der Kammer vertreten. Und was ist dann der nächste Schritt?

Und wo es dann darum geht, dass wir alle, ich skizziere den jetzt mal so als Vision, als Einzelne uns selbst verkörpern und vertreten. Ja, so wie es früher einen König, eine Königin gegeben hat, hat es dann eine Demokratie am Parlament gegeben, ganz salopp gesagt, das mit Parteien jetzt blockweise fungiert. Der nächste Schritt wäre, dass ein Parlament sozusagen ein Rat ist von Einzelpersönlichkeiten, die ihre Mandate verkörpern und bis hin zu dem, dass sich dieses Ding als Netz intelligent verhält. Das klingt vielleicht auf den ersten Moment absurd, aber wesentlich ist das Musterlesen zu lernen, wie hier Entwicklungen stattfinden. Das ganze Ding, das ich hier dann sozusagen durch die Dissertation für mich durchgestöbert habe, basiert auf entwicklungsbezogenem Denken. Da musst du vorweg dazu sagen, das kannst du wollen oder nicht wollen. Das kannst du sagen, ich glaube das nicht oder ich glaube das schon. Also es ist eine heikle Frage ganz zu Beginn. Und diese Frage wurde auch in den soziologischen Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten diskutiert. Was war zuerst? Wann kam das übel? Wie ist Kapitalismus entstanden? Ja, sind die Menschen grundsätzlich gut oder nicht? Da gibt es einige sehr bekannte, auch populärwissenschaftliche Bücher.

Jedenfalls habe ich mich da in der Sache der Architektur damit auseinandergesetzt und erkenne jetzt, und das wäre das Thema, für das es sich lohnt heute zu sprechen, dass wir in der Architektur jetzt eine sehr schöne Doppelsituation haben. Nicht nur, dass dieses Thema an sich da ist, egal ob du es denkst oder nicht als Person, nämlich dass die Entwicklung voranschreitet und das siehst du ja generationsweise, sondern dass mit einem Druck von außen historischer Weise, der da heißt, die großen Krisen dieser Welt, die auf uns zukommen oder die wir mit verursacht haben, die erzeugen so etwas wie das, was wir mit einem Stichwort mittlerweile umschreiben, die Bauwende. Also wir wissen ja, die Baugewerbe ist ein großer Mitverursacher des CO2-Ausstoßes und das ist der eine Fakt, das ist einfach technisch ein Fakt und der zweite Fakt ist.

Dass wir auch wissen, dass wir Leerstand ohne Ende haben und das, was wir tun und bauen, nicht so nutzen, als kollektiv betrachtet, wie es intelligent wäre oder ökologisch oder nachhaltig. Also unter dem Stichwort Bauwende, große Transformation, stehen ja alle Entwurfslehrstühle und alle Universitäten Mitteleuropas mittlerweile. Also es traut sich ja fast niemand mehr, einen Neubau sozusagen großartig zu proklamieren. Wäre ja auch okay, aber es ist einfach nicht das Gebot der Stunde. Und angesichts der Bauwende wird nämlich auch dann durch diesen Umstand, das ist jetzt der Außenportmotor, die Reflexion des eigenen Ichs im Entwurfsprozess nochmal angestachelt. Und da treffen sich quasi zwei Dinge, nämlich diese Idee, die ich hier sozusagen aus der Anleihe von Philosophie, Psychologie und Wirtschaft in die Architektur hinein dissertiert habe, wenn wir so wollen, trifft sich hier jetzt mit der äußeren Not. Und nachdem ja große alte Mantras durchaus seine Berechtigung haben, wie zum Beispiel Not macht erfinderisch oder Not macht erfinderisch. Eine Notwendigkeit, glaube ich oder hoffe ich auch, dass wir in den nächsten Jahrzehnten einen sehr großen Wandel erleben werden, weil wir ihn erleben müssen. Und der wird es mit sich bringen, dass wir auch über das nachdenken können, was ist denn eigentlich meine eigene Brille, wenn ich da so vor mich hin entwerfe.

Friedrich Idam:

Eine Bauwende, zu der ich jetzt zu Beginn unseres Gesprächs zurückspringen möchte, ist jene Bauwende, die zeitlich etwa an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stattgefunden hat. Die gesellschaftlichen Prozesse, die ich vorher sehe, glaube ich, lassen sich am besten mit dem Schlagwort Industrialisierung zusammenfassen. Industrialisierung der Gesellschaft, aber auch des Einzelnen. Der Mensch wird zum Bestandteil, zum Zahnrad einer übermächtigen Maschine. Und ich behaupte jetzt, dieser gesellschaftliche Wandel, dieser Bewusstseinswandel hat dann am Beginn des 20. Jahrhunderts die Entwicklung der Moderne ausgelöst, wo das Gebäude, und ich kenne diesen Ausspruch von Le Corbusier, dass das Gebäude eine Wohnmaschine sei, dass eben das ursprünglich vielleicht sinnliche Gebäude zu einer Maschine wird. Und dass Maschineneigenschaften wie Rationalisieren, Optimieren, also dass mit dem Handwerkszeug eines Maschinenbauers letztlich an die Architektur herangegangen wird. Das ist die Architektur, die das 20. Jahrhundert geprägt hat, die vielleicht noch, so wie du das vorher beschrieben hast, noch in den Emotionen der Architekten ist, obwohl sie es bereits anders wissen, wird noch so schlank, optimiert, reduziert, maschinenhaft gebaut. Wenn wir jetzt an die von dir postulierte Bauwende, an das Notwendige denken.

Wird diese neue Architektur auch anders aussehen als die Architektur des 20. Jahrhunderts?

Michael Zinner:

Ja, aus vielerlei Gründe. Sie wird ja deswegen schon anders aussehen, weil sie im besten Fall dann in zwei, drei Jahrzehnten gar nicht mehr neu ist, sondern das nächste Neue eines weitergebauten, umgebauten oder sanierten Projekts. Also es gibt quasi kein unmittelbar eigenes Gesicht als neue Geburt eines Bauwerks. Das ist ein Grund, aber sie wird auch wieder gleich aussehen, weil, und das ist relevant, ökonomisch effizientes Bauen, auch industrialisiertes Bauen, es hat immer alles zwei Seiten, ist ja auch eine Leistung, die wir uns kulturhistorisch erarbeitet haben und die was kann. Wenn die aber alleine zu einem Selbstzweck und zu einer unhinterfragten Figur wird, wie es dann nach der Moderne dann so war, dann wird sie zu einer Ideologie und damit auch meistens ungesund. Das ist ein allgemeines Muster in der Welt. Man könnte so sagen, nach der Kinderkrankheit geht dir richtig die Post ab und dann wirst du blind. Also das wird es weitergeben, aber, und das ist das Wesen von Entwicklung, Entwicklung heißt ja, das Alte nicht wegwerfen und ins nächste neue stürzen. Das ist beispielhaft eben die Kinderkrankheit, sondern Entwicklung heißt ja, dass Alte besser verstehen, reflektieren können, zu durchschauen in seiner Qualität und in seiner Nicht-Qualität und das nächste Neue draufsetzen und das gute Alte mitnehmen. Das ist leider das Dilemma, dass Menschen üblicherweise nicht so schnell können. Und daher, weil die Welt kürzer gesehen einfacher verstehbar wird, nehmen nur die Chance nach 1989, was war hier für eine Chance auf Synthese in der Welt von Wirtschaft, das war natürlich nicht möglich, einfach nicht möglich, weil wir die Menschheit, die Reife nicht hatte, das zu tun. Beispiel. Und so wird quasi nicht zurück hinter die Moderne marschiert, logischerweise, sondern mit dem Wissen und den Qualitäten der Moderne im besten Fall etwas weiterentwickelt.

Diese Moderne, und du kannst ewig darüber philosophieren, was war zuerst, so wie jetzt zum Beispiel Digitalisierung, Netz, Netzforschung, Hirnforschung, das gibt sich immer die Hand, da ist eine große Wechselwirkung zwischen den einzelnen Phänomenen da und das war auch damals so, Industrialisierung, Sektoralisierung, Rationalisierung. Alles wurde zerlegt, das Atom genauso wie die Arbeitsschritte oder die Psyche. Also dieser Zeitpunkt war ja ein Punkt dessen, dass was aufgepoppt ist, was seit der Renaissance sozusagen still vor sich hingewachsen ist. Die historische Moderne beginnt für mich sozusagen spätestens um 1500 in Europa und poppt sozusagen volle Kanne auf zwischen 1850 und 1920. Und da gehört ja nicht nur die moderne Architektur mit Eisen und Eisenbeton und Stahl dazu, sondern da gehört die Entdeckung der Psychologie dazu, da gehört die Quantenphysik dazu, die dann schon in das Nächste geht und da gehört natürlich auch die atonale Musik dazu. Zum Beispiel, da gibt es ganz viele Dinge, die mit Kanon gebrochen haben.

Der Kanon wurde quasi im 19. Jahrhundert für sich selbst zu schwer, ist in seiner Qualität, auch wenn du den Gründerzeit in Wien anschaust, ist es an der eigenen Dekadenz sozusagen und in der Opulenz sozusagen totgelaufen und daraus hat sich die Moderne auch erhoben. Sie war damit auch mal eine Anti-Bewegung und nicht nur eine Eigenbewegung. Und bis das dann sozusagen in eine heilsamere Phase von Entwicklung kommt, dauert das Jahrzehnte. Dann sind leider für diese kulturhistorische Entwicklung schwere Verwerfungen mit den beiden Weltkriegen immer wieder dazwischengekommen und es wurde dann sozusagen in der Not und in der Armut eine sehr karge und eine sehr radikal auf das Maschinelle reduzierte auch Moderne weitergebaut, wobei interessanterweise in den 50er Jahren ganz viel Eleganz und Qualität da war und in den 60er Jahren so ein völlig irrwitziger Niedergang auch begonnen hatte. Und in den 70er Jahren wurde es dann zu einer illustren Geschichte, auch im Schulbau übrigens. Schulbau zwischen 1965 und 1975 ist ein ganz einzigartiges Jahrzehnt. Und diese Geschichte schreibt sich immer weiter. Und Raumauffassungen wurden von den unterschiedlichsten Epochen und Bewusstseinsverfasstheiten, die in diesen Epochen wohnen, immer verschieden verstanden. Es gibt Thesen, dass die mittelalterliche Stadt nie als dreidimensionale Stadt, so wie wir sie verstehen, gelesen werden konnte oder wurde. Die sind mehr oder weniger auf ein paar Prinzipien auf alle Fälle auch zurückführbar, wie die Mauer, die Stadtmauer; draußen die wilde, bedrohliche Welt. Da ist noch der Urkampf, Wohnen oder Haus als Schutz gegen Natur noch drinnen. Die Kirche in der Mitte, ganz wesentlich natürlich, also der horizontale Schutz, die vertikale Achse. Und der Rest war eigentlich auf diesem Tablett zweidimensional aufgelegt, aber nicht räumlich, üblicherweise räumlich erfasst. Die sogenannte Entdeckung des Raumes, so wie wir ihn heute lesen und denken, ist ab 1500 losgegangen. Wir alle kennen die Studien von da Vinci zur Perspektive etc. Mit dieser Denke des modernen Raums sind wir dann sozusagen auf die Industrialisierung zugeschritten, waren Raum auffassungsmäßig vorbereitet. Die hat mit Technik und technischen Erfindungen dann unser Verständnis explodiert. Jetzt kommt aber noch eine Erfindung oder eine Entwicklung dazu, die der Moderne auch zugeschrieben werden darf, Fritzi. Nämlich nicht nur eben das industrialisierte Bauen, das technische Bauen, das mechanistische Denken. Auch Frédéric Laloux, den ich vorhin erwähnt habe, nennt ja die Leitfigur der Organisation der damaligen Zeit die Maschine. In der Postmoderne sagt es dann die Familie. ja und jetzt wird er es den Organismus nennen ja in der jetzigen zeit im 21 Jahrhundert.

Es kommt auch zum Beispiel so etwas dazu wie der fließende Raum, die Stütze, die den Grundriss befreit. Das ist eine wirklich, wenn du so willst, eine dieser Schönheiten, die auch in der Moderne erstmals im großen Maßstab in diese Welt gebracht wurden. Weil die Leistungsfähigkeit in den Dienst einer größeren kulturellen Idee kam und nicht mehr zum Selbstzweck wurde, ist es auch eine Schönheit. Also du kannst den fließenden Raum und die Stütze und die Befreiung des Grundrisses als eine Grundqualität der Moderne quasi einpacken und mitnehmen. In den nächsten Schritt machen wir ja sowieso, weil hinter die Ökonomie gibt es kein Zurück mehr. Aber ich meine es kulturell. Aber wenn ich zum Beispiel in den Städtebau gehe, Und so sehr ich mich bemühe, ich finde nichts. Ich finde nichts, wo wir als planende Branche hier wirklich einen großen Beitrag geleistet hätten, der uns nach vorne bringt. Also wenn jetzt, ich sage es mal so, ich lehne mich hier raus im Podcast, würde jetzt ein UFO landen. Ich würde mich auch entschuldigen für die letzten 150 Jahre, weil wir haben im Wesentlichen Welt zerstört. Niemand von uns wird freiwillig in irgendeine Vorstadt fahren und dort Urlaub machen. Es ist sozusagen ein wie Schwemmgut, wie eine riesige Müllinsel rund um die Städte labert: Gebautes, Infrastrukturschienen, Leitungen herum, die ohne eine Choreografie für Schönheit nichts anderes bedeuten als eine entseelte Welt, eine entzauberte Welt. Da bin ich jetzt in der Literatur mit meinen Metaphern.

Während also im Städtebau meiner Meinung nach nichts mehr Gescheites nachgekommen ist, um es ein bisschen pampert auf Österreichisch zu sagen. Ist es in der Moderne, in der Raumauffassung und im Objektbereich sehr wohl zu etwas weiteren Neuem gekommen. Und jetzt, wo wir vor einer Bauwende stehen, wird es nochmal neu spannend, wie wir damit umgehen. Und ich sage dir, dass hier ganz viele Hausübungen, Hausaufgaben zu erledigen sind, eh klar. Das machen auch ganz viele Leute schon, auch der Bund, deutschen Architektinnen oder die Kammern etc. Es gibt endlos viele Veranstaltungen, Kongresse, Entwurfsprogramme auf Universitäten zu diesem Thema, politische Bekenntnisse, alle möglichen Abkommen, wie man hier mehr Reuse, Recycle etc. machen wird. Diese ganzen Apparaturen sind wichtig, die arbeiten alle an einem Strang, mal mit mehr oder weniger Erfolg, das ist alles okay. Es gibt auch eben eine innere Ebene, die noch wichtig ist. Und die interessiert mich auch, weil ich ja mein Leben nach dem Ausstieg bei Querkraft 2004 der Jugend, dem Nachwuchs gewidmet habe. Mich interessiert einfach sozusagen ganz viele junge Absolventinnen der Kunstuniversität Linz darauf vorzubereiten, dass sie gut mit dieser Welt umgehen, was mit den Fragen, die in dieser Welt jetzt liegen, ohne dass sie direkt formuliert werden müssen. Und das heißt nämlich folgendes und das ist etwas schon sehr epochales der Beruf der Architektin, ich sage das jetzt im Feminin, weil wir schon seit, 20 Jahren mehr Frauen im Studium haben und jetzt auch seit 10, 5 Jahren mehr Absolventinnen als Absolventen haben, auch wenn sie sich im Berufswesen noch nicht abzeichnen, das ist schon geschehen angelegt. Der Beruf der Architektin ist ja bei so Internetabstimmungen immer one of the most sexiest. Also das ist ein sexy Beruf, und das kann man ja auch nachvollziehen, weil hier sich hinzustehen, etwas in die Welt zu bringen, die Souveränität, du kennst diese Bilder mit der schwarzen Brille und so. Und auch die Fotos, wo du die schöne Welt fotografierst, das hat schon was. Und das Dilemma, das da drinnen steckt, wenn du so willst, die latente Egozucht, die auch stattgefunden hat in den letzten Jahrzehnten, das hat sich auch erst übrigens seit der Renaissance entwickelt. Ich meine, Michelangelo, Raphael, wie sie alle heißen, das waren die ersten Künstler, die das Ich auch richtig bewusst formuliert haben. Giotto im Mittelalter hat noch als Medium, man könnte übertrieben sagen, noch als Medium für Gott gemalt. Aber das hat Michelangelo, wie er da fluchend am Rücken, am Gerüst gelingen ist, bei der Sixtinischen Kapelle ist sicher nicht getan. Der hat schon gewusst, wer er ist und wer der Julius II. Ist. Zurück zur Jetztzeit. Also diese Egozucht, die inhärent ist, die wird eine starke Prüfung erfahren. Und das habe ich auch im Schulbau in partizipativen Eigentestverfahren über sechs, sieben, acht Jahre erlebt. Ich sage zu meinen jungen Leuten immer, du musst zwei Sachen können als Architektin. Du musst ein starkes Ich haben und auch ein Nicht-Ich verstehen können in dir.

Friedrich Idam:

Du thematisierst das Ich und quasi auch die Probleme, die mit dem Ich verbunden sind. Ich will das jetzt in Zusammenhang bringen mit der Industrialisierung. Du hast ja vorher quasi die Industrie oder die Eigenschaften der Industrie als normierend, skalierend, vereinfachend beschrieben und ich sehe quasi die industrielle Produktion auch eine Möglichkeit der Skalierung des Ego. Wenn ich als Entwerfer ein Objekt ersinne und entwerfe und dieses Objekt geht dann in die industrielle Produktion, wird natürlich mein Ego mit diesem Entwurf verhundertfacht, vertausendfacht, es wird in die Höhe eskaliert. Und die Architektur des 20. Jahrhunderts, denke ich, hat als Entwerfer, Ästhetisches Problem, die ständige Wiederholung. Die mangelnde Individualität und da denke ich, wenn wir in einer neuen Architektur, nach der Architekturwende mit Urban Mining arbeiten, Wenn wir mit Reuse arbeiten, wird ja automatisch dieses industriell vorfabrizierte, dieses zigfach wiederholte nicht mehr so stark auftreten, weil man einfach zufällig gefundene Teile, das kann ein Möbel sein, aber das können auch Fenster sein, die im Reuse in ein Gebäude kommen, dass zwar dann immer noch effizient industriell produzierte Teile, aber in einem sehr spontanen Assembling, dass der Architekt oder die Architektin nicht mehr die Person ist, die vor dem Computer sitzt und irgendwelche Objekte ersinnt, sondern wieder auf der Baustelle steht und eins zu eins im Raum Objekte, alte, gebrauchte Objekte, in eine neue Korrelation setzt und damit auch etwas Neues erschafft.

Michael Zinner:

Ja, voll interessant, Fritzi. Da kommen ja Dinge zusammen. Jetzt ein Gedanke zum Abstrakten, nämlich der nächste Schritt, der, ich glaube, geohistorisch voll ankommt jetzt im 21. Jahrhundert, der heißt ja auch, alle die Ebenen, die wir vorher erlebt haben, neu zusammenzuführen. Deswegen reden ja viele Autoren von Integral und dann wird es schwierig, weil da rennen uns ganz viele Menschen auch davon, wenn man das Wort erwähnt. Aber dass jetzt ein industrialisiertes Bauen, Also eine knallharte Werkvertragsarchitekt, also Projektierung und das Stehen auf der Baustelle mit den Handwerkerinnen. Neuer Standard werden wird müssen, zeigt ja auch, wie verschiedene Geschichten oder Geschichtsphasen unseres Berufs wieder zusammenkommen. Das ist das eine. Das andere, was ich jetzt wichtig finde, ist, weil du gesagt hast, das normierte, standardisierte, skalierte und damit auch fade, sich wiederholende, also langweilig, sich wiederholende. Da stimme ich dir nicht ganz zu, weil das Dilemma, das die Moderne hatte im Vergleich zu früher, ist ja, dass es keinen Kanon gab dahinter. Wenn du jetzt nur das 19. Jahrhundert in Wien hernimmst, das ist ja ewig das Gleiche, Ewig das gleiche und auch das war ja schon vorindustriell dieser ganze Klunker, der auf den Häusern auch landete, ist ja nicht nur alles Handwerk, sondern da hat es ja schon Fabriken gegeben, die diese Teile produziert hatten, auch in Wien, Immer noch ist diese Stadt, wenn ich durchgehe, war erst wieder am Samstag in Wien, ja, es sind diese Gründerzeitparaden, wenn du so willst, in so einer Gasse, du gehst durch und du denkst, was für eine Pracht und Herrlichkeit, Klammer auf, wissend, dass dahinter die Höfe und die Bettgeherinnen Ausschlachtung von Menschenmaterial in den frühen Phasen, alles wissend, aber die Sache als solche, wenn sie dort steht, die Gründerzeithäuser, das hat eine Wucht, die Stadt lebt davon. Wenn ich durch eine neu gebaute Stadt gehe, irgendein Viertel, Hauptbahnhof oder so, wo immer, dann habe ich diese Wahrnehmung nicht, dieses Glücksgefühl. Und eben genau deswegen nicht, weil ja hier lauter individualisierte Ego-Tiere in einem Zoo der Wettstreitenden sich produzieren. Alle schreien herum, sage ich mal, jetzt verkürzen. Und natürlich ist das kein Musikstück fürs Ganze. Das heißt, die Moderne hat vor allem eines gemacht, sie hat die Fesseln des Orchesters gesprengt und den Chormeister über Bord geworfen. Niemand würde sich heute von uns trauen zu sagen, so muss man bauen. Das hat jahrhundertelang gegolten. Der Kanon hat das Ding von außen zusammengehalten. Und in der Varianz zum Kanon entwickelt sich Beauty. Das ist wie der Bass und die Liedgitarre in einem Musikstück. Das gibt es so überhaupt nicht mehr. Jetzt gibt es Freejazz neben Bebop, neben Popmusik, neben Klassik, was weiß ich. und dir wird ganz schwindelig, wenn du durch die Gassen gehst. Das ist ein echtes Dilemma der Moderne. Das ist sozusagen nochmal ein leichtes Stück anders, weil die Wiederholung als solches hat eine große Berechtigung in der Architektur. Denk zum Beispiel an ein griechisches Dorf. Wenn da lauter Kasperln herumhupfen würden, würde man immer hinfahren.

Friedrich Idam:

Aber der Kanon ist ja quasi zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Moderne gebrochen worden. Da gibt es ja auch diesen Wiener Kunsthistoriker Alois Riegel, der eben den Kanon infrage stellt und sagt, es gibt keinen absoluten Kunstwert mehr, es gibt nur mehr den relativen Kunstwert, der auf das Kunstwollen der jeweiligen Epoche bezogen ist. Aber wenn ich mir jetzt, internationale Architektur anschaue, in jedem Industriestaat, aber sogar und vielleicht sogar verstärkt in den Schwellenländern, wenn ich jetzt das Gebaute analysiere, da sehe ich ja auch einen de facto Canon, der vielleicht nicht mehr so genannt wird, Aber die große Glasfläche, die Sichtbetonwand, um jetzt nur zwei Elemente zu benennen, die werden ja in der Architektur am Ende des 20. Jahrhunderts quasi kanonisiert.

Michael Zinner:

Nein. Nein. Also die Materialien sind da, doch der Umgang mit den Materialien ist schon sehr frei. Du kannst, wenn du so willst, sozusagen Szenen, Branchen, Moden ausmachen. Da gibt es die Holzbau, da gibt es die strengen Architektinnen, da gibt es die lustigen, die frivolen holländischen eine Zeit lang, die ganz kontrollierten Schweizerinnen etc. Du kannst ganz viel ausmachen, aber es ist immer ein Potpourri, an Einzelsetups, natürlich auch, wie du gesagt hast, die Schwellenländer, dort wird sozusagen weiter produziert und auch andere Figuren wieder wiederholt. Aber es ist immer ein Potpourri, eine Melange von Gleichzeitigkeiten von vollkommen unterschiedlichen Positionen in Bezug auf Konzeption, Materialität und Ästhetik oder so. Es gibt da keinen Kanon mehr, der ja damals auf diesen Ebenen ja immer gegriffen hat.

Friedrich Idam:

Es freut mich jetzt ganz besonders, wir haben im Podcast Simple Smart Building tatsächlich eine Premiere, ein Streitgespräch und das ist besonders schön. Ich glaube, es ist ja für unsere Hörerinnen und Hörer manchmal langweilig, wie meine Gäste und ich übereinstimmen und es ist jetzt sehr, sehr schön, dass ich jetzt hier an der Kanonfrage die Geister scheiden. Ich behaupte, im Gegensatz zu dem von dir eben dargestellt, es gibt zum Beispiel den Kanon der Materialsichtigkeit, den Kanon der Wahrheit. Ein Material darf nicht verkleidet sein, es darf nicht etwas anderes darstellen. Es gibt meiner Meinung nach den Kanon der Lesbarkeit, also die Funktion dieses Form follows Function. Ich erlebe diese Haltungen schon als kanonisch.

Michael Zinner:

Jetzt muss ich die Hörerinnen dann vielleicht wieder enttäuschen, weil ich stimme dir zu. Aber es ist interessant. Ich empfehle hier ein Buch an dich und die Hörerinnen. Martin Dachs, Architekt in München, hat Philosophie dissertiert und die Dissertation ist lesenswert, professionell bis ins Letzte. Also es hat mich wirklich bereichert, über Ethik und Moral des Architekten, nicht gegendert, der genau diese Figuren, Denkfiguren nenne ich sie jetzt mal, zum Beispiel die Lesbarkeit der Fassade, die Materialgerechtigkeit, all das, was du jetzt erzählt hast, bearbeitet, thematisiert als philosophisch-moralisches Thema in der Architektur. Und das sind eindeutig Denkfiguren der Moderne. Insofern gebe ich dir recht, aber es ist nicht Kanon. Ja, wenn Kanon wäre, Kanon in der Formalität von dem, was wir tun, also das, wie es dann dasteht als Gestalt, so habe ich das Wort jetzt verstanden. Da hat es sozusagen ein hohes Maß an Übereinstimmung oder an äußeren Zwang Jahrhunderte und Jahrtausende lang gegeben. Also zuerst war es ein technischer Zwang, dann ein, wenn du es so willst, ästhetischer Zwang. Und dieser Zwang wurde gesprengt. Wenn es überhaupt Kanon gibt, dann ist er woanders hingerutscht, zum Beispiel in die technische Ebene und nicht mehr in die ästhetische Ebene. Vielleicht können wir uns ja so, ohne dass wir die Hörerinnen enttäuschen wollen, auch wieder finden in der Meinung, aber ich stimme dir vollkommen zu, es gibt Denkfiguren und das eigentliche Drama ist, dass die ja selten hinterfragt werden und dass ganz viele Büros denen nachlaufen und sie reproduzieren, gerne und durchaus auch auf höchstem Niveau, baukünstlerisch höchstem Niveau, aber es ist da. Und ich glaube, das wird sich ändern. Ich glaube auch, dass die jungen Leute, so wie ich sie auf der Universität wahrnehme, hier ganz andere neue Zugänge auch suchen, weil die ja viel größere, auch persönlich integrierte Suchbewegungen vor sich haben. Weil im Gegensatz zu uns, Fritzi, ich bin 1995 aus der Uni rausgegangen, wusste ich, jetzt reiße ich der Welt irgendwelche Haxen aus. Also auf mich wartet die Zukunft. Das ist ja heute nicht mehr so. Also die Suchbewegung wird heftiger, weil ja die Perspektive da draussen geringer zu sein scheint. Da gibt es auch eine Not. Und diese jungen Leute fragen sich da viel mehr. Also werden sich viel tiefere Fragen automatischer stellen müssen und wollen. Die Frage des Kanons wird, und da hast du auch recht, wird sich aufgrund der Sache selbst, nämlich das Weiterbauen und nicht das Neubauen, nennen wir es einmal so, vollkommen verändern. Und jetzt kommt ein ganz entscheidender Punkt. Wie kann, was macht es? Und die jungen Leute, die jetzt an den Unis sind, werden ja noch hochgeführt von so Leuten wie mir, die ja auch in der Tradition der Materne sehr wohl diese Denkfiguren weitertragen. Aber wenn ich es überlauert habe im Kopf, ist es ja nicht so, dass ich bei jedem Mittwochgespräch am Schreibtisch der Studierenden, am Zeichentisch diese Figur nicht auch erzähle. Wenn ich sage, warum schaut die Fassade so aus, wenn dahinter ganz was anderes stattfindet, ist durchaus ein denkbarer Satz am Mittwoch von mir im Betreuungsgespräch. Und diese jungen Leute werden in eine Welt hineinkommen, wo eben dieses Streben nach diesen Denkfiguren oder auch nach der Ich-Verwirklichung im kompetitiven Momentum, auch das ist eine wichtige Erfindung oder eine wichtige Triebkraft der Moderne, der Wettbewerb, der ist ja auch kurz vor 1900 quasi in die Architekturwelt eingezogen. Die werden sich hier neu aufstellen müssen, weil du hast auf einmal etwas vor dir, einen Bestandsbau, der eine eigene Kraft ist im System, und du hast auch, und du hast zwei neue Kräfte und du hast auch die Kraft der Menschen, die mitreden wollen. Also früher war es nur der Genius Locis, von dem alle irgendwie herum erzählt haben, erzählt haben und gesagt haben, ja, die Architektin und Architekt müssen das spüren, was ist der Ort und so. Jetzt hast du auch den Genius Sozi, also du musst auch verstehen können, in welchem Gemengelage von Menschen und Kräften du spielst. Wo lauert die nächste Bürgerinitiative oder was will der Bürgermeister und was wollen die Lehrerinnen etc. Und du hast auch dieses Bauwerk, das ein eigenes, sagen wir es mal so, Ich darstellt und sagt, ich bin auch wer, ich habe auch eine Geschichte, ich will auch was von euch. Es wird komplexer und du bist schneller aufgerufen als Architektin zu sagen, okay, Hier muss ich was beantworten, hier darf ich was beantworten, hier. Jetzt kann das kippen. Du kannst sozusagen vor lauter dem Bedienen dieser Kräfte abstürzen und deine Souveränität verlieren. Oder du kannst mit diesem Bedienen deine Souveränität halten und die andere Variante ist gegen das Bedienen. Sagen, na, ich bin souverän. Die letzte Variante ist die moderne. Das ist der Zigarre rauchenden Mies van der Rohe oder sonst wer. Ich mochte es. Ich bin der Architekt. Ich habe einen Gestaltwählen. Ich bin gescheit, ich kaufe, ich beglücke die Welt. Das ist eine männliche Position. Sich dem voll unterwerfen und sich selbst verlieren ist eine Opferposition. Das war die alte, traditionell feminin besetzte Position. Das ist jetzt ein heikles Moment in dem Gespräch. Bitte mich nicht hier missverstehen mit den einfachen Zuschreibungen. Und die spannende neue Position im 21. Jahrhundert wäre die, wo du sagst, ich habe diese Kräfte, ich kooperiere mit diesen Kräften, ich interagiere, ich stehe in Wechselwirkung, ich achte sie alle, doch ich bin auch ein Souverän gleichzeitig, also ich und nicht ich.

Friedrich Idam:

Mehrmals ist in unserem Gespräch, wenn auch nur kurz, die Ökonomie angeklungen. Wir bewegen uns, wenn der Trend zumindest in Europa, so weiter geht, wie er gerade läuft, uns auf materiell ärmere Zeiten zu. Wir werden nicht mehr so wie in den von dir zitierten 1970er, 80er Jahren aus dem Vollen schöpfen. Wir müssen, denke ich, auch aus ökologischen Erwägungen mit den Ressourcen sparsamer umgehen. Das heißt, könnte nicht gerade die Situation der begrenzten materiellen Möglichkeiten dem kreativen Architekten einen ganz besonderen Antrieb geben, dass man als kompetenter Gebäudegestalter einfach mit seinem Fachwissen zu einer Situation stößt, wo von den von dir genannten Gruppen, von den ganzen Stakeholdern gewisse Anforderungen gestellt werden, aber ein sehr begrenztes Budget vorhanden ist. Und ich mich dann hinstelle und sage, ich kann euer Problem lösen und durch diese quasi ökonomische Lösungskompetenz gestalterischer Freiraum entsteht.

Michael Zinner:

Ja, das glaube ich sehr wohl. Ich würde es nicht ökonomische Lösungskompetenz nennen, sondern kulturelle. Ja, weil die Ökonomie ist sozusagen eine, wenn du willst, eine Färbung dieses Systems, aber es ist der Ort, wo das geschieht, ist ein kultureller Ort. Es hat immer zwei Kräfte gegeben, die gute Architektur mitbewirkt haben. Das eine war die Not und das andere die Bildung. Mit den beiden, das ist der Urbaustoff der letzten Tausenden von Jahren in Europa. Wir alle, wenn wir uns damit auseinandersetzen oder auch intuitiv können, wirklich bis zu einer Gänsehaut, also mit Erschaudern, vor einem schönen alten Bauernhaus stehen und diese Wucht und Qualität bewundern. Wo ein ganzes gefügten Material in der Welt, ein Stück Bauernhaus in einem Stück Natur, dasteht, als hätte es immer zusammengehören müssen. Und diese Qualität, die da drinnen steckt, ist über Jahrhunderte, und das ist sozusagen vor der Moderne die Tradition, die große Epoche des Tradierten, des Handwerklichen, des Zünftischen, das ist das alte Europa vor 1500, das lange bis rein ins 20. Jahrhundert gewirkt hat. Diese Architektur entsteht quasi aus einer Not, wo du sagst, was haben wir? Im Müllviertel liegen Steine herum, irgendwo anders die speziellen Bäume etc. Wer macht das? Der Vater lernt dem Sohn. Und mal gibt es eine schlechtere Generation, hat der Vater nicht so eine gute Hand für was, dann wieder eine bessere etc. Das heißt, es gibt hier Tradition, Tradition, Wissen wird weitergegeben, wird immer weiter geschult. Und es entwickelt sich aus einer systemischen Ganzheit, nämlich Wetter, Erde, Bäume, Steine und Herrschaft und kultureller Hintergrund. Was weiß ich, ist ein Unterschied, ob es dem Salzkammergut groß wird oder in Hamburg, wo die Seefahrt steht. Aus diesem systemischen Ganzen wird eine Antwort über die Jahrhunderte im Kollektiv gegeben. Nie von einem Individuum. Deswegen heißt es ja auch anonyme Architektur. Anonyme Architektur, eine Architektur ohne Namen oder anders gesagt eine Architektur ohne ich, eine Architektur aus dem wir. Mit der Bildung kommt das Ich auch dazu und das haben wir jetzt mit den Malern kurz schon angerissen. Und die Kunst wird sein, in der neuen Situation im 21. Jahrhundert die Ich-Qualität und die Wir-Qualität zu koordinieren und in dir zu integrieren. Wenn dir das gelingt, wird es interessant. Wenn du mir es gestattest, möchte ich jetzt noch ein Beispiel aus dem Schulbau nennen. Gar nicht von mir, nicht die Rose, nicht die Rose in der Tabakfabrik, sondern es gibt so viele gute Büros, die guten Schulbau machen. Und viel im Schulbau wird über Wettbewerbswesen entschieden. Bei aller Schwierigkeit dieses Verfahrens kommt auch immer wieder was Gutes raus natürlich, und du kannst den Leuten und die Architektinnenschaft, die sich jahrzehntelang mit den Dingen auseinandersetzt, ist in der Sache weit, wo er der Mainstream oder die durchschnittliche Menge des Architekturverständnis auf der Straße nicht mithalten kann. Das ist so, wie wenn du die Leute auf der Straße fragst, haben sie die Qualität der neuen klassischen Musik von dem oder dem verstanden und kannst sagen, es gefällt mir oder es gefällt mir nicht, aber du weißt dann üblicherweise nicht warum. Das ist sehr emotional und impulsiv. Das ist auch in der Architektur so. Und dann kannst du als Architektin eine Schule hinsetzen in einer kleinen Landgemeinde, die mehr oder weniger für die Menschen ein UFO ist, aus einer anderen Zeit. Weil die Architektin ja schon so weit ist, im positiven Sinn gemeint mit ihrer Entwicklung. Und das geht.

Aber es ist klar, dass es eine Autoimmunreaktion gibt, dass es eine Abstoßreaktion gibt, dass dieses UFO die ersten 20 Jahre sozusagen in einem Antikrieg erleben wird, oftmals. Und dann sozusagen ganz viele Dummheiten auf diesem Weg passieren müssen, einfach weil die zwei Systeme, das schon weit gedachte, das hier gelandet ist und das noch nicht abgeholte, das dort wohnt und lernt, nicht zusammengehen. Und eine Schönheit in unserer Branche wäre es, wenn wir die Größe entwickeln können und sehe ich momentan nicht, sage ich dir schon, weil wir stehen ja auch im Wettstreit und müssen uns, ich bezogen, eine Schlägerei liefern da draußen in der Fachwelt. Wenn du hingehst, den Ort erkennst, Genius Lozi, die Situation erkennst, Genius Lozi, wo steht die Schule, was haben die für Verfasstheit an Weltverstehen, was ist da in der Gemeinde los, was ist das Potenzial dieser Gemeinde, wo könnten sie noch am weitesten geistig-kulturell hin?

Wenn du das verstehst, dann müsstest du im besten Fall als Architektin eine Schule bauen, die so ein bis eineinhalb Schritte vor dem jetzigen Verdauungsvermögen dieses Körpers Gemeindelandleben steht, damit Verdaubarkeit entsteht. Weil eine Kiste, die um einen Schritt weniger am Puls der Zeit die Schaumwelle der Architektur darstellt, aber dafür einen Schritt vor der Verdaubarkeit von Architektur in der Landgemeinde landet, hat insofern einen Sinn für das Weltgeschehen, weil sie mehr Glück erzeugt und den nächsten Schritt der Architektur stärken hilft. Auch wenn er hinter der Bugwelle der Entwicklung ist, ist es immerhin eine Vermittlung von Architektur, einen Schritt dahinter und wenn der erfolgreich ist, dafür aber sicherer und stabil. Wenn du so denkst, müssten wir in der Architektur da ganz anders vorgehen und die Bauwende wird ihren Zwangsbeitrag dazu leisten, dass das eher wahrscheinlich wird und das finde ich gut.

Friedrich Idam:

Ich finde es ein sehr großes Glück, dass Menschen mit einem Mindset wie du die Möglichkeit haben, die nächste Generation Architektinnen heranzubilden. Ich erinnere mich noch gut an unser gemeinsames Studium zurück, wo zumindest mir, wo mir die Professoren nicht gelehrt haben, wie Entwerfen funktioniert und du als mein jüngerer Mitstudent mich in die Basics des Entwerfens eingeführt hast und ich tatsächlich bei dir das Entwerfen gelernt habe. Und wie wir jetzt dieses Gespräch geführt haben und ich deine hochspannenden Gedanken jetzt so langsam nachvollziehe, eben auch verdaue, tut es mir eigentlich sehr leid, dass ich nicht wieder Student bei dir sein kann.

Michael Zinner:

Ich umarme dich, mein Freund. Was für ein schönes Kompliment. Ich nehme das. Früher hätte ich jetzt gesagt, ah geh, komm. Aber heute kann ich das schon in aller Aufrechtheit wirklich nehmen.

Michael Zinner:

Ich freue mich darüber. Aber ich genieße das. Danke dir.

Friedrich Idam:

Mein lieber Freund Meiki, ich danke dir ganz herzlich für dieses Gespräch.

Über diesen Podcast

Simple Smart Buildings steht für Gebäude die einfach und dauerhaft gebaut sind. Für die Generationen vor uns war es ganz normal mit einfachen Mitteln dauerhafte Gebäude zu errichten. Diese Art zu bauen hat sich über Jahrhunderte bewährt und wir können daraus lernen. In den verschiedenen Regionen entwickelten sich aus lokal vorhandenen Baustoffen resiliente Baukonstruktionen und Gebäudetypen, welche Jahrhunderte überdauert haben und gerade deshalb immer noch eine hohe Nutzungsqualität bieten. Dieser Podcast erzählt von Möglichkeiten einfach gut zu bauen.

Feed-URL
https://podcasted3e6b.podigee.io/feed/mp3

von und mit Friedrich Idam und Günther Kain

Abonnieren

Follow us