Friedrich Idam:
Alte Häuser bilden einen Schatz an Erfahrungswissen, Handwerkskunst und Konstruktionen, die funktionieren. Sie sind eine wertvolle Ressource. Mein Name ist Friedrich Idam. Ich bin Spezialist für historische Bauten und das ist mein Podcast. Das Thema des heutigen Podcasts ist Infrarotbeschattung, ein Begriff, den eigentlich unser Kollege Alfons Huber geprägt hat. Alfons Huber war der Mitarbeiter in unserem Burgtheaterteam, der eigentlich mit immer neuen Ideen das Projekt vorangetrieben hat und einer seiner Ansätze war eben die Idee der Infrarotbeschattung. Günther, ich würde dich bitten, einfach einmal kurz den physikalischen Hintergrund zu erläutern, worum es bei diesem Ansatz der alternativen Gebäudekühlung.
Günther Kain:
Gerne, ja - vielleicht vorweg eine kurze Beschreibung der Problematik. Es ist so in einer wärmer werdenden Umwelt, dass sich die Dachhaut speziell bei Blechdächern, aber grundsätzlich auch bei anderen Dachhäuten stark erhitzt und sofern es nun keine Kaltdächer gibt, also hinterlüftete Dachkonstruktionen,
Friedrich Idam:
Also vielleicht um das zu erläutern, es gibt jetzt zumindest schon seit einigen Jahrzehnten Eigentlich die klassische Konstruktion des Kaltdaches, wo die Dachhaut zweischalig aufgebaut ist, wo es einerseits die äußere Schicht der Dachhaut gibt, die gegen Witterung schützt, die wasserundurchlässig ist. Und dann gibt es eine Zwischenschicht, eine Hinterlüftung, und bei dieser Dachkonstruktion spricht man von einem sogenannten Kaltdach.
Günther Kain:
Genau. Und wenn es jetzt diese zweite Ebene nicht gibt, wie das bei vielen historischen Gebäuden der Fall ist oder es auch nicht sinnvoll ist, weil zum Beispiel eine Dacheindeckung noch derartig gut ist hinsichtlich ihrer Qualität, dass ein Tausch keinen Sinn macht, gibt es diese Ebene nicht. Und dann, wenn sich jetzt diese Dachhaut stark erhitzt führt das zur Abstrahlung von Wärmeenergie, und zwar in Form von elektromagnetischer Strahlung im infraroten Bereich. Wärmestrahlung…
Friedrich Idam:
das ist die Strahlung, die wir von der Sonne kennen.
Günther Kain:
Exakt. Und diese Strahlung strahlt nun auf die darunter liegende Geschossdecke und führt zur Überhitzung der Wohnräumlichkeiten darunter. Ja, und in diesem Phänomen gilt es zu begegnen. Und da ist jetzt die Projektidee, dass man diese Strahlung hemmt - mittels eines Infrarotschirms,
Friedrich Idam:
Und dieser Schirm ist letztlich ein Membran, dessen Oberflächentemperatur durch geschickte. Luftführung so reduziert wird, dass die Oberflächentemperatur dieses Schirms, dieser Schirmebene ja doch um einige Kelvin tiefer liegen sollte als die Oberflächentemperatur der Dachhaut. Und da gibt es ja diesen spannenden physikalischen Aspekt der Stefan-Boltzmann Beziehung, welche den Zusammenhang zwischen Oberflächentemperatur und Wärmeabstrahlung beschreibt.
Günther Kain:
Genau. Und dort ist es so, dass die Temperatur in der Potenz 4 in die Gleichung eingeht. Also es ist im Wesentlichen die die Strahlungsenergie, der Emissionskoeffizient - die Emissivität des Materials - multipliziert mit der Boltzmann Konstante und der Temperatur hoch 4. Und das heißt jetzt zu Deutsch, dass wenn es gelingt, wie von dir angesprochen, die Temperatur dieser Infrarotbeschattungsebene nur um wenige Kelvin zu reduzieren wir einen überproportional hohen oder eine überproportional hohe Verminderung der Strahlungsleistung haben.
Friedrich Idam:
Das heißt, in einer einfachen Kopfrechnung wenn es gelänge, die Temperatur zu halbieren, würde die Strahlung auf 1/16 reduziert werden.
Günther Kain:
Genau. Und mit diesem Hintergrund macht es natürlich jetzt Sinn, über diese Thematik nachzudenken und der Ansatz ist, wie schon von dir Fritz erwähnt, Membranen und eventuell dünne Platten auf der Sparreninnenseite zu montieren und wir haben da jetzt ein Forschungsprojekt aufgesetzt, wo wir genau diesen Ansatz auch messtechnisch überprüfen. An zwei verschiedenen Gebäuden, eines davon ist in Wien im 18. Bezirk…
Friedrich Idam:
da experimentiert unser Kollege Alfons Huber…
Günther Kain:
und wir beide experimentieren hier im Salzkammergut an einem alten Stallgebäude, wo wir auch verschiedene Materialien, verschiedene Beschattungsmaterialien testen.
Friedrich Idam:
Und die Idee ist, diese Membrane, diese zweite Ebene so leicht wie möglich zu machen, sodass die gar nicht viel Wärme speichern kann und dass es auch mit relativ wenig Kühlenergie, also mit einem Kühlmedium - wir arbeiten hier mit Luft - gelingt die Temperatur der Membrane zu senken- Und wenn uns letztlich die Temperatur der Membrane zu senken gelingt, sinkt natürlich automatisch auch die Oberflächentemperatur und damit die Wärmeabstrahlung.
Günther Kain:
Es gibt dann eine weitere Stellschraube, an der wir vorhaben zu drehen, nämlich die zuvor schon angesprochene Emissivität in dieser Strahlungsgleichung. Einfach gesagt gibt es Materialien, die ein Maximum der ihnen innewohnenden Wärmeenergie abstrahlen. Das sind solche mit, man nennt diese konstante Epsilon, nahe 1 und es gibt Materialien - wie zum Beispiel blanke Metalloberflächen - die mit Epsilon 0,04 in etwa ausgestattet sind. Und wenn wir nun diese Oberfläche mit geringen Emissivitäten ausstatten, so werden selbst warme Oberflächen gering strahlen und das ist auch ein Feld der Optimierung
Friedrich Idam:
Und umgekehrt macht man sich ja diesen Effekt bei Photovoltaikanlagen und Solarthermieanlagen zunutze. Da schaut man ja genau umgekehrt, dass das Material, und da geht es ja auch darum, die Farbe - das ist ein ganz spezielles schwarz - wenn es gelingt, diese Farbe… da nehmen diese Oberflächen ein Maximum an Strahlungswärme auf. Also wir machen letztlich hier oder versuchen das Gegenteil des optimalen Solarpanels zu entwickeln.
Günther Kain:
Erste Testmessungen haben gezeigt, dass dieser Ansatz sehr gut funktioniert. Also es gab im Burgtheater im Dachgeschoss des Feststiegenhauses einen Versuch, wo wir eine Plane spannten und mit einer Infrarotkamera das sich ergebende Strahlungsbild evaluierten, und da zeigte sich bereits, dass unter der Plane die Oberflächentemperatur der Decke um 3, 4, 5 Kelvin niedriger ausgeprägt ist.
Friedrich Idam:
Unter der Landing-Page Alternative Gebäudekühlung Innenbeschattung - Infrarotbeschattung findet man hier diese sehr beeindruckende Infrarotaufnahme. Ich werde sie auch natürlich mit diesem Podcast verlinken. Ich möchte aber jetzt auch noch über die dritte Stellschraube sprechen und diese dritte Stellschraube ist die Hinterlüftung, dass man mit dem Kühlmedium Luft die Membrane, also diese dünne Schicht kühler bekommt, um so damit die Wärmeabstrahlung zu reduzieren.
Und da ist ja die Idee unseres Kollegen Alfons Huber, dazu alte Kaminschächte zu benutzen, also Kamine, die während des Sommers nicht in Betrieb sind, also Rauchfänge, die eigentlich in der Heizperiode zum Rauchabzug der Öfen dienen. Und es wird nun versucht, aus dem Kellergeschoss diesen Kamin offen zu halten und dann die Luft durch diesen Kamin zu führen und diese relativ kühle Luft dann zwischen Dachhaut und Membrane streichen zu lassen.
Günther Kain:
Und die einfache Gleichung ist im Wesentlichen, dass man jene Energie, die einstrahlt aufgrund der warmen Oberflächen, durch konvektive Ströme, also durch bewegte Luft abzuführen kann. Und je kühler natürlich die einströmende Luft ist, desto besser. Und ein weiterer Aspekt wird sein natürlich die Luftgeschwindigkeit. Und da ist es dann interessant, die Zuluftführung, beziehungsweise ganz wichtig auch die Abluft über First, effizient zu gestalten, sodass ein hoher Volumenstrom die Energie abführen kann.
Friedrich Idam:
Und da wird es natürlich auch darum gehen, welche Oberflächenstruktur besitzt die Membrane an der Luftseite? Wir werden ja letztlich über Oberflächenstrukturen an der dem Dachraum zugewandten Seite der Membrane sprechen. Da wird es möglicherweise die Metalloberfläche werden, die wenig strahlt. Und es wird die dem Luftstrom zugewandte Seite geben, wo es ja darum geht, möglichst gut thermisch entladen zu können.
Günther Kain:
Und da ist in der Projektidee die Überlegung da, dass man auch hier materialseitig optimiert. Zum Beispiel gibt es Hölzer wie Pappel, welche eine sehr hohe innere Oberfläche besitzen und somit auch eine im mikroskopischen Bereich raue Oberfläche aufweisen, wo dann die vorbeistreichende Luft sozusagen mehr Potenzial der Abkühlung entfalten kann.
Friedrich Idam:
Also auf eine letztlich größere Oberfläche trifft.
Günther Kain:
Genau. Und das werden wir uns auch anschauen, ob das die erhofften signifikanten Vorteile bringt.
Friedrich Idam:
Es wird natürlich, wenn wir im ersten Schritt einmal diese Stellschrauben uns näher angesehen haben und welche Potenziale letztlich in diesen Stellschrauben stecken, wird es ja dann in einem nächsten Schritt auch darum gehen, diese Materialien zu prüfen, ob die auch brandsicher sind, weil wir bewegen uns hier im Dachbereich. Wir haben ja in diesem ersten Probelauf im Feststiegenhaus des Burgtheaters, haben wir eine speziell brandimprägnierte Textilie verwendet.
Günther Kain:
Ja, also es kam ein Gewebe zum Einsatz, das man auch im Kulissenbau im Theater einsetzt und es wird zu schauen sein, inwieweit diese Materialien dann geeignet sind.
Friedrich Idam:
Der Brandschutz ist natürlich ein großes Thema und wir werden uns dann überlegen, verschiedene Imprägnierungen oder eben auch Materialien, welche die normmäßig vorgegebenen Brandlasten aushalten.
Günther Kain:
Exakt.
Friedrich Idam:
Eine Komponente, die mir auch natürlich einfällt, warum man nicht diese übliche oder diese standardmäßige Kaltdachkonstruktion vor allen Dingen bei historischen Gebäuden ausführen kann. Aber es geht hier auch um Gebäude aus den 1960er, 70er Jahren, wo es gilt, diese thermisch zu ertüchtigen. Du hast am Beginn unseres Gesprächs darauf hingewiesen, dass möglicherweise noch eine Dachdeckung darauf in Ordnung ist, die man nicht unnötigerweise entsorgen möchte. Und eine andere Dimension ist natürlich, die statische Qualität der Dachstühle. Weil wenn wir diese Dachstühle ansehen, dann ist es ja oft aus statischen Gründen gar nicht möglich, eine klassische Kaltdachlösung dort aufzubringen.
Günther Kain:
Und es erschließt sich, ist mir jetzt eingefallen im Gespräch, noch eine weitere interessante Möglichkeit, dass man dann nämlich versucht, diese Luftpolster unter Dach im Winter gezielt wenig zu belüften und somit im Idealfall stehende Luftpolster erwirkt, die dann dem Wärmeverlust hemmend entgegenwirken. Also dass man sozusagen diese Sparrenfelder, die wir da schaffen, in einer Wintersituation und in einer Sommersituation unterschiedlich bespielen.
Friedrich Idam:
Und da wird es natürlich die Herausforderung sein, diese Umstellung möglichst simpel zu erwähnen.
Günther Kain:
Exakt.
Friedrich Idam:
Da sollte keine Elektronik drinstecken, das sollte möglicherweise mit ganz einfachen Schiebern oder Klappen. Es würde ja ein Schieber bei der Zuluft und ein Schieber bei der Fortluft ausreichen und diese Luftschicht, wenn sie erforderlich ist, wenn es der Sache dient, ruhen zu lassen und wenn es der Sache dient, eben in der Kühlsituation, sollte sich die Luftschicht bewegen können.
Günther Kain:
Genau, und das ist zumindest bei traditionellen Gebäuden relativ leicht zu bewerkstelligen, weil traufseitig der Platz zwischen den Sparren üblicherweise nur mit einem Brett verschlossen ist, im Dialekt als Spatzenbrett bezeichnet. Ich weiß nicht, kennst du da eine offizielle Bezeichnung, ist mir gar nicht bekannt. Auf jeden Fall, diese Bretter kann man entfernen und dann durch taugliche Schieber, wie du erwähnt hast, oder letztlich vielleicht auch durch irgendeine Art von Biosensorik zu ersetzen.
Friedrich Idam:
Es gibt ja an sich auch dieses selbststeuernde Phänomen, nämlich je heißer die Dachhaut wird, desto stärker wird, wenn die Dachneigung hinreichend groß ist, natürlich die Thermik sein. Und wir untersuchen ja jetzt an Steildächern mit Neigungswinkel schon im 40 Grad Bereich.
Günther Kain:
Und wir messen parallel zu den Temperaturen auch die Strömungsgeschwindigkeit und somit können wir dann auch eine Einschätzung gewinnen, wie stark man diese Thermik auch beeinflussen kann.
Friedrich Idam:
Weil ja im Sinne unserer Simple Smart Building Idee ist es ja nicht erwünscht, dass man jetzt hier mit Ventilatoren oder mit Gebläsen oder mit elektronischer Steuerung dieses System bestückt, sondern, was du vorher angesprochen hast, Biosensoren oder Bio-Aktuatoren, die diese Systeme sehr, sehr einfach steuern. Und mir gefällt ja auch die Idee unseres Kollegen Alfons Huber so gut, dass man hier bestehende Rauchfänge als Antrieb, als thermischen Antrieb, simplen Antrieb dieses Systems verwendet.
Günther Kain:
Und im weiteren Ausbau ist es natürlich auch denkbar, dann zu evaluieren, diese Luftströme, die sich da bilden, energetisch zu nutzen. Also es gibt zum Beispiel aus dem Entwicklungsländerbereich einfache Plattenmotore, die man mit wenigen Kelvin Unterschied betreiben kann. Auch solche Szenarien wird man sich anschauen, ob man dort vielleicht sogar Energiegewinnung betreiben kann.
Friedrich Idam:
Aber wir schauen einmal Schritt 1 mit der Simple Smart Idee, mit dem Simple Smart Ansatz einmal ein möglichst einfaches System zu entwickeln. Das doch, denke ich, bei historischen Gebäuden und bei Gebäuden, Ich will diesen Gedanken noch einmal aufgreifen. Es gibt einfach Gebäude, welche in den 1960er, 70er Jahren errichtet wurde, wo man durchaus Überlegungen anstellen kann, muss eigentlich, wie kann man deren Lebenszyklen verlängern, weil es kann nicht sinnvoll sein, diese Gebäude einfach wegzureißen und durch etwa Passivhäuser zu ersetzen, weil ja da einerseits der Verlust der grauen Energie durch den Abbruch und der erneute Einsatz grauer Energie ja riesengroß wäre. Und ich bin davon überzeugt, in der Sanierung dieser Bausubstanz aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steckt noch enormes Potenzial zum Energiesparen.
Günther Kain:
Ja, und durch die verschiedenen Bausteine der Simple Smart Idee, eines sei die Infrarotbeschattung, andere wurden bereits in dieser Podcast-Serie dargestellt, gelingt es dann hoffentlich, genau solche Gebäude auch wieder sehr energetisch vorteilhaft in Nutzung zu halten.
Friedrich Idam:
Danke.