Friedrich Idam:
Heute zu Gast in Simple Smart Buildings, Florian Nagler. Florian Nagler ist Architekt mit einem sehr interessanten Hintergrund. Er hat einerseits vor dem Architekturstudium Kunstgeschichte studiert, andererseits eine Zimmererlehre absolviert, also fast so eine Zangenbewegung auf die Architektur zu, Einmal von der handwerklichen Basis, andererseits von der quasi übergeordneten Sicht der Kunstgeschichte. Florian Nagler ist erfolgreicher Architekt, er betreibt ein Büro mit seiner Frau. Florian Nagler hat an verschiedenen Universitäten gelehrt, zurzeit an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Hochbau und Entwerfen. Florian Nagler ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden mit seinen Versuchsbauten in Bad Aibling, über die wir heute sicher noch zu sprechen kommen. Meine Eingangsfrage, Florian Nagler, was stimmt beim heutigen Bauen nicht?
Florian Nagler:
Also ich mache das ja jetzt inzwischen 30 Jahre, das Bauen als Architekt. Vorher, wie Sie richtig gesagt haben, die Lehre zum Zimmermann, da bin ich so in das Bauen hineingekommen. Und wir haben eigentlich in 30 Jahren immer probiert, dass wir Materialien verwenden, von denen wir ausgehen, dass wir sie verantworten können für die kommenden Generationen. Und eigentlich haben wir uns auch immer bemüht, gute Energiekonzepte umzusetzen, um auch da so verantwortlich wie möglich mit unseren Ressourcen umzugehen. Und in den letzten zehn Jahren, sage ich jetzt mal, oder 15 Jahren ist es eigentlich immer extremer geworden. Und irgendwie hatte ich das Gefühl bei unseren eigenen Projekten, dass uns diese Projekte entgleiten, dass die Technik sich verselbstständigt, dass die Technik immer anspruchsvoller wird, dass sie in vielen Fällen das nicht einlösen kann, was sie zunächst verspricht. Und ich hatte irgendwie das Gefühl, wir sind da auf dem falschen Weg, nicht nur wir mit unseren Projekten, sondern dass wir da insgesamt einfach viel zu viel in der Architektur auf die Technik setzen und weniger auf das, was Architektur eigentlich ja selber kann, leisten kann mit den Häusern selber, mit der Baukonstruktion, mit der Art und Weise, wie die Häuser gebaut sind, wie sie materialisiert sind. Und ich glaube, das ist so ein grundsätzlicher Fehler, dass wir seit der Moderne auf Technik setzen und glauben, dass wir alle Probleme, die wir haben, die wir selber auch vielfach selber generieren, dass wir die mit wieder mehr Technik und noch mehr Technik und anderer und neuerer Technik wieder lösen können.
Friedrich Idam:
Da fällt mir spontan jetzt ein, die Aussage von Le Corbusier, der das Haus mit einer Maschine oder mit einer Wohnmaschine vergleicht. Und das ist ja quasi dieser Grund. Beginn der Moderne in der Architektur. Glauben Sie, steht das leitbildhaft, diese Aussage vom Le Corbusier, das Haus als Maschine?
Florian Nagler:
Ja, das hat sicher was damit zu tun. Also das war einfach so eine Vorstellung, dass moderne Technik eigentlich alle Probleme lösen kann. Aber vielleicht auch mit der falschen Vorstellung, falls man so Götter wie Le Corbusier kritisieren darf, dass ein Haus halt doch irgendwie was anderes ist als eine Maschine und eben keine Maschine ist. Ein Haus ist eigentlich ein Gebilde, das ein paar hundert Jahre stehen kann. Und ein technisches, und die Vorbilder, die sich die Moderne genommen hat, wie der Dampfer, das Auto, das Flugzeug und so weiter, das sind ja technische mobile Geräte sozusagen, die einfach anders ticken, glaube ich. Und das ist schon mit so einem Grundfehler gewesen zu meinen, wir machen jetzt alles wie Maschinen.
Friedrich Idam:
Dinge entstehen ja durch Angebot und Nachfrage. Glauben Sie, dass es eher die Architekten-Seite ist, die diese Maschinenarchitektur anbietet oder dass es eher die Seite der Kunden ist, die Technik, die hohe technische Ausstattung fordert?
Florian Nagler:
Beides, glaube ich. Also das ist, wahrscheinlich ist das so ein gesellschaftlicher Prozess, wie man sich da entwickelt. Und ich glaube, es sind auf der einen Seite auch die Freude sozusagen daran, was Technik alles kann. Das kann ja auch Spaß machen. Ich gehe auch gern mit Technik um prinzipiell. Aber also ich glaube, da kommt beides zusammen sozusagen. Und dann wird gezeigt, was die Technik alles kann. und dann möchte man das gerne auch und dann möchte man natürlich auch nicht mehr hinter einen gewissen Standard zurück. Möchte ich im Übrigen auch nicht. Ich finde es toll, dass wir hier elektrische Beleuchtung haben. Ich finde es auch schön, dass wir, auch wenn es ein bisschen mühsam war, dass wir uns hier per Zoom unterhalten können. Das sind ja alles Dinge, die auch sinnvoll sind und die zu einem zeitgemäßen Leben mit dazugehören. Auf der anderen Seite gibt es auch ganz viele Dinge, Ja, die wir nicht brauchen, also die wir infrage stellen können und die einfach auch wahnsinnig viel Energie verbrauchen. Und wir haben ja auch zurzeit Probleme, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen, aber auch was den CO2-Footprint aller der Dinge, die wir tun, anbelangt. Und da müssen wir schon ernsthaft darüber nachdenken, wie wir uns da richtig verhalten.
Friedrich Idam:
Zum Beispiel eines dieser Themenfelder der Gebäudetechnologie ist für mich die Heizung. Ich habe zum Beispiel in meinem Haus als Hauptheizung einen Kachelofen, den ich habe selbst gesetzt, also der ist quasi erdacht, gebaut und wird auch betrieben. Jetzt ist einerseits natürlich, ich muss, wenn es kalt ist, jeden Tag heizen. Das ist sicher mit Mühe verbunden und es ist nicht der Knopfdruck und es wird warm. Es ist vielleicht auch, ich muss diesen Ofen gut kennen, aber letztlich macht es mir jeden Tag Freude einzuheizen. Glauben Sie, bin ich da ein Dinosaurier oder gibt es bei den Kunden doch wieder Menschen, die so eine Gebäudetechnologie nachfragen?
Florian Nagler:
Die gibt es auf jeden Fall. Es gibt viele Menschen, die eigentlich wieder direkter erleben wollen, wie sie eigentlich leben und was sie da eigentlich tun, dass nicht alles irgendwo aus der Tiefe des Raums einem geliefert wird und man weiß gar nicht, wo kommen die Sachen her. Das gilt für viele Sachen, das gilt fürs Essen, das gilt fürs Heizen und so weiter. Die gibt es auf der anderen Seite, ich kenne das alles nur aus meiner Jugend oder ich kenne das auch jetzt aus der jetzigen Zeit. Meine Eltern, die wohnen genauso, die haben ein Haus mit zwei Kackelöfen und jetzt sind sie aber so alt, dass sie es eigentlich nicht mehr schaffen. Das heißt, jetzt kommen die Kinder zum Heizen und fahren von 50, 60 Kilometer und hacken das Holz, speuten das, machen Kleinholz, das man anheizen kann und so weiter. Also jetzt geht es so, und weil wir halt nicht mehr so leben wie früher, die ganze Familie in einem Haus, da ist es egal, da ist ja immer jemand da, der noch körperlich in der Lage ist, Holz zu machen. Jetzt sitzen die ganz alleine in ihrem Haus mit ihren zwei Kachelöfen und bemühen sich, das Hauswaben zu kriegen. Ist natürlich auch nicht ganz einfach sozusagen. Aber nichtsdestotrotz, meine Schwestern zum Beispiel, die wohnen auch draußen auf dem Land und die eine hat eine Landwirtschaft, die haben viel Holz selber. Da ist das sowas von naheliegend. Damit auch einzuheizen und so weiter ist ja völlig ganz selbstverständlich. Und die machen das auch wieder. Sind auch noch jünger, da geht das alles. Aber ich glaube, es gibt schon auch Fälle, wo das nicht so wirklich funktionieren kann. Also jetzt wir hier in der Stadt, wenn alle mit einem Holz Kachelofen einheizen würden, dann wäre natürlich die Luftqualität auch eine ganz andere. Also ich glaube, das kann man nicht über einen Kamm scheren, aber Sie wohnen ja bestimmt in einem ländlichen Kontext, oder? Da wird das wunderbar funktionieren. Und wenn man selber sozusagen sein Material, das man verwendet, um zu heizen, im Garten produziert, dann ist es ja umso sinnvoller.
Friedrich Idam:
Ich glaube ja, bei der Luftqualität geht es letztlich auch um die Kulturtechnik des Einheizens. Ich glaube, ich werde bei dem Podcast eine eigene Episode über das richtige Heizen machen, weil ich glaube, dieses Basiswissen, wie viel Sauerstoff gebe ich zum Verbrennungsprozess, habe eine Frischluftzufuhr, wo ich quasi, weil wir haben ja zum Teil das Problem, Wir haben hochdichte Fenster und Türen, dass ja zu einem Ofen in einem modernen Gebäude gar nicht mehr ausreichend Sauerstoff kommen kann und der Verbrennungsprozess gar nicht mehr richtig stattfindet. An diesem Beispiel vielleicht festgemacht, wenn wir wieder im Bauen enttechnisieren, wenn wir wieder einfacher bauen, dann brauchen ja letztlich die Benutzer und die Bewohner des Gebäudes wieder Kulturtechniken, wie sie mit dem Gebäude umgehen. Ich glaube auch, Umgang mit einem Haus muss gelernt sein. Es war in den Generationen vor uns, so wie Sie das Leben Ihrer Eltern beschrieben haben, die dieses Erfahrungswissen an die Kinder weitergegeben haben oder so wie ich von meinem Vater quasi das Erfahrungswissen des Heizens weitergegeben bekommen habe. Und irgendwo ist ja diese Tradition abgerissen. Jetzt haben wir sehr viele Menschen, die eigentlich in Hightech-Gebäuden wohnen, die aber vielleicht ganz elementare Kulturtechniken des Wohnens gar nicht mehr beherrschen.
Florian Nagler:
Ja, das ist so. Ich glaube, da geht ganz viel oder ist ganz viel Wissen verloren gegangen, auch ganz einfache Sachen. Also wir haben hier ein Büro mit 20, 30 Mitarbeitern, alles Ingenieure und Ingenieurinnen, studierte Architekten und Architektinnen und wenn man jetzt da, ein vernünftiges Lüftungsverhalten voraussetzt, dann ist das gar nicht so einfach. Also dass jemand, obwohl die das alle sozusagen studiert haben, eigentlich fast sind die nicht in der Lage, das Fenster zu schließen, wenn es draußen wärmer ist als drin, weil man sonst die warme Luft reinlüftet. Also so ganz einfache Sachen, das ist alles verlernt sozusagen. Jetzt muss man sagen, hey, schau mal, draußen ist wärmer wie drin, mach doch das Fenster jetzt zu und dann lüften wir einmal kurz, damit wir wieder frische Luft haben. Aber wenn das Fenster permanent auf ist, ist es halt drin so warm wie draußen. Eigentlich ganz einfach, aber sogar solche Sachen gehen verloren. Und ich fände es aber schon sehr sinnvoll, wenn wir das wieder vermitteln würden. Und es würde zum Beispiel wunderbar funktionieren, wenn man das in der Schule vermitteln würde. Aber wir bauen unsere Schulen natürlich auch mit Lüftungsanlagen und alles mechanisch. Und die Kinder kriegen alles serviert und müssen sich um nichts kümmern. Und da geht schon, der erste Lernprozess sozusagen ist da schon verloren, weil früher hat man halt nach 45 Minuten gelüftet, damit wieder frische Luft drin ist, damit alle wieder einen klaren Kopf bekommen und dann geht es weiter in der Schule. Das ist übrigens interessanterweise, habe ich neulich gehört, die 45 Minuten Schulstundenlänge kommt vom Pettenkofer, der ermittelt hat, dass in einem Klassenzimmer nach 45 Minuten die Luft verbraucht ist und dass man deswegen dann Stoß lüftet und deswegen hat eigentlich die Schulstunde 45 Minuten und nicht eine Stunde. Ich glaube, das klingt auch total plausibel, weil es ist in der Zeit entstanden, diese 45 Minuten. Und gut, die haben damals natürlich auch stattliche Klassenzimmer gehabt, aber auch mehr Schüler drin, große Raumvolumen, große Höhe der Räume und da hat das mit einer Ladung Frischluft sozusagen 45 Minuten gut funktioniert.
Friedrich Idam:
Das ist ja diese Lufthygienebewegung, steht ja im Zusammenhang mit der Lebensreformbewegung Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert. Da hat es ja auch in Wien starke Bewegungen gegeben. Ich bin da gestoßen auf den Karl Böhm, war Mediziner, der dann große Luftbrunnenanlagen entwickelt hat, wie es zum Beispiel noch bei den großen Wiener Ringstraßenbauten wie etwa im Burgtheater noch vorhanden sind. Da hat man eigentlich sehr viel über die Lüftung gewusst. Mir ist jetzt eingefallen, wie Sie das von der Schule erzählt haben. Ich bin bereits so alt, ich kann mich noch erinnern, in meiner Schulzeit, Schulklassen mit Einzelofenheizung, wo der Schulwart während der Unterrichtsstunde, was uns natürlich eine willkommene Abwechslung war, mit dem Kokskübeln. Also bei jeder Hand einen Kokskübel. Und hat dann diese Öfen geschürt und da war für uns Schüler quasi das Heizen wirklich unmittelbar erlebbar. Und ich glaube, das ist ja überhaupt so. Ich bin ja auch noch die Generation, die zum Beispiel, wenn auch ungern, mit dem Vater in den Wald musste und dann dort Brennholz machen, aber man lernt dann die Dinge quasi ohne zu lernen. Nicht wie in der Schule quasi als Unterricht vorgesetzt, sondern das ist reales Leben, das passiert, in das dann quasi das Kind geworfen ist und das unreflektiert mehr oder weniger aufnimmt, die Dinge zur Technisierung der Gebäude. Einerseits gibt es die Architekten, die in diesem Maschinendenken sind. Ich habe ja in meinem Architekturstudium ist mir ja auch diese moderne, dieses Denken quasi noch eingetrichtert worden. Und wir haben die Kunden, die durch eine Konsumgesellschaft, durch Werbung quasi auf diese Technik reflektieren und vielleicht sogar von den Architekten fordern. Und dann haben wir aber noch diesen großen Bereich der Normen und Bauvorschriften. Und soweit ich das herausgefunden habe, sind ja sie auch einer der Initiatoren für die Gebäudeklasse E, Für diese Experimentalbauten, für die einfachen Bauten. Wie weit ist da jetzt der Prozess in Deutschland? Hat das schon Gesetzeskraft? Und um was geht es, wenn es bitte meinen Hörerinnen und Hörern kurz erklären, die Geschichte des Gebäudetyps E?
Florian Nagler:
Der Gebäudetyp E, der geht eigentlich zurück auf eine Initiative der Bayerischen Architektenkammer. Da gab es eine Arbeitsgruppe, die sich auch mit der Frage dieser überbordenden Vorschriften beschäftigt hat. Und die hatte eine, wie ich finde, wirklich geniale Idee. Wir haben uns nämlich zum Beispiel in unserem Forschungsprojekt Einfachbauen auch mit der Frage beschäftigt, welche Vorschriften sollte man denn ändern, abschaffen, stilllegen und so weiter. Und wir sind einfach vor der schieren Anzahl von Vorschriften in die Knie gegangen und haben gesagt, das ist unübersehbar, also wir wissen gar nicht, wo wir ansetzen sollen, das lassen wir beiseite, damit beschäftigen wir uns nicht. Aber diese Arbeitsgruppe, die haben die Idee gehabt, naja, das macht gar keinen Sinn, jetzt an einzelne Vorschriften ranzugehen, weil erstens sind es so viele und diese Bemühungen gab es ja schon vielfach, immer wieder irgendwelche Initiativen zur Entbürokratisierung sozusagen und wenn diese Arbeitsgruppe dann getagt hatte, dann ein paar Jahre später waren es mehr Vorschriften als zu Beginn der Tätigkeit dieser Gruppe. Und deswegen haben sie gesagt, wir machen es ganz anders. Bei uns, bei diesem Gebäudetyp E, da kann ein kundiger Bauherr, also jetzt zum Beispiel ein großstaatliches Bauamt oder ein Wohnungsbauunternehmen, die eine Bauabteilung haben, die können gemeinsam mit den Architektinnen und Architekten vereinbaren. Für uns gelten die üblichen Anforderungen der bayerischen Bauordnung, also jetzt in Bayern, was die Schutzziele anbelangt. Also Brandschutz stellen wir nicht in Frage, Standfestigkeit stellen wir nicht in Frage. Aber die 3.900 technischen Baubestimmungen, die sich mit den Bauern beschäftigen und die alle möglichen Dinge regeln, die wir können gemeinsam vereinbaren, dass die nicht gelten oder dass wir uns an die nicht halten müssen. Wir können eigene Lösungen entwickeln. Das Problem ist nämlich, dass wenn man in Deutschland von einer Vorschrift, wenn die eingeführt ist, abweicht. Dann muss noch nicht mal ein Schaden vorliegen, dann kann man trotzdem in Haftung genommen werden für einen Mangel, obwohl es keinen Schaden gibt. Also wenn jetzt, ich sage immer das schöne Beispiel, es gibt in Bayern, die ist eingeführt, eine Rollladenkastenverordnung. Wenn ich mir jetzt als Architekt einen tollen Rollladenkasten überlege, der wunderbar funktioniert, aber von dieser Verordnung abweicht, dann könnte der Käufer des Hauses kommen und dann hinterher sagen, ah, da liegt ein Mangel vor, weil der entspricht nicht der Vorschrift. Und das ist ja eigentlich absurd. Aber so arbeiten wir permanent sozusagen. Und der Gebäudetyp E, der schafft jetzt die Möglichkeit, da elegant sozusagen einen zweiten Weg zu eröffnen. Also alle, die wie bisher mit allen Vorschriften gern arbeiten möchten, die dürfen das auch weiterhin tun. Aber es gibt die Möglichkeit, wenn man mit seinem Bauherrn sich einig ist, davon abzuweichen. Und das ist aber rechtlich gar nicht so einfach. Dazu muss das bürgerliche Gesetzbuch geändert werden. Das ist jetzt ein kleines bisschen durch unseren Regierungswechsel ins Holpern gekommen. Aber im neuen Koalitionsvertrag steht auch drin, dass sie das vorantreiben wollen. Und ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Sitzungen des Bundestags passiert und dass das bürgerliche Gesetzbuch dahingehend angepasst wird. Dass in Zukunft, dass es dieses Thema des schadenfreien Mangels nicht mehr gibt.
Friedrich Idam:
Da bestehen also durchaus Hoffnungen und Sie haben ja in Versuchsbauten in Bad Aibling, haben Sie ja quasi letztlich schon nach den Prinzipien des Gebäudetyps E gebaut.
Florian Nagler:
Ich sage jein, weil eigentlich haben wir alle Vorschriften eingehalten. Ich sage immer dazu, soweit wir sie kennen. Wir haben jetzt sowieso nicht gegen die Bayerische Bauordnung verstoßen und der Brandschutz ist gewährleistet. Auch die Mindestanforderungen an den Schaltschutz in den Wohnungen, das haben wir alles eingehalten. Aber wir sind da ganz ans unterste Ende jeweils gegangen. Im Rahmen von dem Forschungsprojekt war es möglich, dass wir da ganz viele Untersuchungen gemacht haben und immer so wenig wie möglich gemacht. Aber auch da, also die 3.900 technischen Baubestimmungen haben wir nicht durchdrungen. Das kann schon sein, dass wir da gegen manche verstoßen. Und insofern haben wir da schon versucht, so eine Art Gebäudetype vorwegzunehmen.
Friedrich Idam:
Und Sie haben ja dabei versucht, drei mehr oder weniger grundrissgleiche Häuser mit verschiedenen Materialien zu bauen.
Friedrich Idam:
Einerseits im Vorfeld zu berechnen, zu modellieren, wie werden sich diese Gebäude unterschiedlich verhalten aufgrund der unterschiedlichen Baustoffe Und andererseits im realen Befund zu messen, wie ist es wirklich. Was waren da Ihre fundamentalsten Erkenntnisse aus dem Projekt?
Florian Nagler:
Also wir haben ja die drei Materialien, mit denen wir in Deutschland Wohnungsbau machen, sozusagen mit Holz, mit Beton und mit Mauerwerk, haben wir diese drei Häuser gebaut und dabei versucht, das einerseits baukonstruktiv so einfach wie möglich zu machen, so wenig wie möglich Schichten hintereinander, so sortenrein wie möglich zu bauen in den jeweiligen Materialien. Und auf der anderen Seite auch so wenig wie möglich Technik einzusetzen, nur das, was unbedingt erforderlich ist. Also wir haben da eine Heizung, wir hängen an der Nahwärmeversorgung, an dem Areal, die hat eine Hackschnitzelheizung, die steht da im Hintergrund. Aber Lüften geht halt über Fenster auf, Fenster zu sozusagen. Da haben wir eine sehr abgespeckte Version. Und die fundamentale Erkenntnis für mich ist, wir haben im Vorfeld so Simulationen gemacht, was ist eigentlich ein guter Wohnungsraum, wenn man jetzt so großformatig einen Wohnungsbau macht, im Hinblick darauf, dass er gut belichtet ist, erwartet man von einem Wohnungsraum, dass er im Winter so wenig wie möglich Heizenergie verbraucht und im Sommer so wenig wie möglich Überhitzungsstunden hat. Also, dass man es aushalten kann im Sommer, auch wenn es draußen warm ist. Und da haben alle drei unsere Häuser eigentlich am Schluss sehr gut abgeschnitten, weil wir angemessene Fensterflächenanteile eingebaut haben. Also, das war eine ganz wesentliche Erkenntnis. Da haben wir so Simulationen gemacht mit viel Technik im Vorfeld. Und da finde ich auch sehr sinnvoll, die Technik einzusetzen. Für diese Simulationen haben wir unterschiedliche Raumkonfigurationen ausprobiert. Also so wie wir es standardmäßig bauten, werden in Deutschland alle Wohnungen mit 2,50 Meter Raumhöhe gebaut. Früher hat man 3,40 Meter gemacht bei den Altbauten. Und das haben wir ausprobiert in den Simulationen. 2,50 Meter, 2,90 Meter, 3,40 Meter. Dann haben wir verschiedene Geometrien gemacht, also breite Räume, die wenig tief sind, oder schmale Räume, die dafür tief sind. Also wir haben immer 18 Quadratmeter als so normale Wohnungsraumgröße angenommen drei Meter breit, sechs Meter tief, quadratisch, sechs Meter breit, drei Meter tief, dann das kombiniert mit drei verschiedenen Raumhöhen und dann hat man da quasi für jeden und den drei verschiedenen Materialien und dann hat man das durchsimuliert über den Verlauf eines Referenzjahres, was passiert da. Und die Fenster waren immer so groß, dass der Raum gut belichtet ist, dass es ein Tageslichtquotient von zwei Prozent in der Mitte des Raums gibt. Das war die Anforderung. Dann ist es ein gut belichteter Raum. Und aber nicht größer als das. Immer so klein wie möglich, damit dieser Tageslichtquotient erreicht wird. Und da hat am Schluss dann am besten abgeschnitten in diesen Simulationen eigentlich der gute alte Altbauwohnungsraum. Drei Meter breit, sechs Meter tief, drei Meter vierzig hoch. Da konnte man ein relativ kleines Fenster, das hat man hoch angesetzt, weil der Raum hoch war. Es hat trotzdem gut bis in die Tiefe des Raums belichtet und das Fenster ist halt trotz allem der Schwachpunkt in der äußeren Hülle sozusagen. Da geht im Winter die meiste Heizenergie verloren Und wenn das Fenster groß ist, wenn man im Glashaus sitzt, gibt es halt im Sommer viele solare Einträge. Und also insofern war eigentlich ein vernünftig kleines Fenster. Groß, klein, kann man jetzt sehen, wie man möchte. Eigentlich, und das war auch ganz interessant, das, was die bayerische Bauordnung oder eigentlich alle deutschen Bauordnungen als Mindestgröße, für die ein Fenster eines Aufenthaltsraums fordert, nämlich ein Achtel der Grundfläche des Raums als Rohbauöffnung, das war bei unseren Simulationen das Optimum. Also es war eigentlich, diese Fenster haben am besten funktioniert. Und die haben wir dann in Bad Aibling auch bei allen drei Häusern eingebaut. Und die sind im Verbrauch extrem gut. Die brauchen nicht mal die Hälfte von dem, was sie nach dem GEG, nach unserem Gebäude Energiegesetz, wenn man das danach rechnet, da brauchen sie nur die Hälfte davon. Sie haben ganz wenig Überhitzungsstunden im Sommer. Je nach Material ein bisschen unterschiedlich. Das Holzhaus ist ein kleines bisschen wärmer im Sommer, aber auch ein bisschen wärmer im Winter. Das Betonhaus ist halt super kühl im Sommer, aber braucht ein bisschen mehr Heizenergie im Winter. Aber eigentlich verhalten sie sich recht ähnlich, weil sie alle drei auf das Thema Speichermasse setzen, massive Wände und nicht auf das Thema Dämmen, Dämmen, Dämmen. Sondern da kann die Außenwand ist quasi tragende Konstruktion, Dämmung, Raumabschluss, wie früher auch sozusagen bei einer Außenwand, bei einem alten Bauernhaus, eine Blockwand, das war auch monomateriell, der Raumabschluss und die Konstruktion.
Friedrich Idam:
Sie sind ja ein sehr erfolgreicher zeitgenössischer Architekt, der ja auch viele Wettbewerbe gewinnt, renommierte Bauwerke erstellt hat. Andererseits sind Sie im Vorstand des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Das heißt, welche Bedeutung, dieses traditionelle Bauen, dieses geronnene Wissen aus den Jahrhunderten für Ihr zeitgenössisches Arbeiten als Architekt?
Florian Nagler:
Eine große, das ist eigentlich mein Thema, mit dem ich mich seit 30 Jahren beschäftige. Ich komme aus einem kleinen Bauerndorf vom Land und ich finde es wahnsinnig interessant, wie wir das schaffen, dass wir Häuser bauen, die in den Kontext passen, die die Erfahrung, die geronnene Erfahrung aus ein paar Jahrhunderten, diese Hauslandschaften und die Gebäudetypen haben sich ja nicht aus Jux und Tollerei so entwickelt, wie sie sind, sondern, wie Sie sagen, die sind geronnene Erfahrungen, die wussten, was funktioniert an dem Ort und so weiter, haben wir mit der Moderne dann sozusagen über Bord geworfen. Und das finde ich interessant zu schauen, was lernen wir von diesen Häusern, Was können wir für unsere Anforderungen, die heute anders sind, übernehmen? Was können wir daraus lernen? Wie können wir das adaptieren? Und wie schaffen wir das, dass diese Häuser auch in die jeweilige Situation passen und sich nicht anmaßen, viel pflüger zu sein als alles andere, was vorher passiert ist? Das ist etwas, was mich beschäftigt und was mir in meiner Arbeit auch Freude macht. Und ich sehe auch in meiner Vorstandtätigkeit beim Landesverein, da geht es ja nicht nur um den Blick zurück, sondern beim Landesverein, da steht auch ganz klar, Herkunft und Zukunft ist eigentlich das Thema sozusagen des Landesvereins. Und das finde ich wichtig, also einerseits zu wissen, wo kommen wir her, aber auch, wo wollen wir hingehen und was wollen wir überführen in die Zukunft und was hat Qualität. Darum geht es ja eigentlich, was ist schön, was hat Qualität, was ist sozial verantwortlich, was wollen wir in die Zukunft führen. Und da gibt es einfach ganz viel, woran man anknüpfen kann, was funktioniert hat, was schön ist, was eine Qualität hat in der Vergangenheit und das finde ich für mich ein spannendes Thema.
Friedrich Idam:
Wenn man da jetzt noch weiter in die Vergangenheit zurückgeht, das ist jetzt mir spontan eingefallen, wie sie eben diese elementaren Anforderungen, aber auch die Anforderung der Schönheit. Da ist mir quasi diese drei wesentlichen Anforderungen des Vitruf, Utilitas, Firmitas, Venustas, diese ganz einfachen Dinge und die Venustas eigentlich die Anmut, das ist ja, ich traue mir zu sagen, Schönheit ist nicht relativ. Es gibt schon in sehr vielen Menschen so ein Basisgefühl für Schönheit. Und wenn Menschen auf Urlaub fahren, die meisten Menschen trinken ihren Kaffee in den historischen Stadtzentren und nicht in den Shoppingmalls an der Peripherie. Wie glauben Sie, kann man wieder eine Schönheits- oder Anmutsdiskussion (venustas) führen, ohne immer zu relativieren?
Florian Nagler:
Das ist eine ganz existenzielle Frage. Also ich glaube auch, dass es so ein paar grundlegende Dinge gibt, die fast alle Menschen als schön empfinden. Also das kennt man ja auch so, wenn man Bilder betrachtet, auch Gesichter betrachtet, dann werden die immer als sehr schön empfunden, wenn sie symmetrisch sind und eine Gleichmäßigkeit haben. Also es gibt ein paar so Grundregeln, glaube ich, die empfinden alle als schön. Aber wenn es jetzt zum Beispiel um die, was finden wir schön an so alten Städten und was ist uns verloren gegangen sozusagen im Städtebau der Moderne. Also ich finde, da geht es immer sehr viel um Material. Die haptischen Qualitäten der Materialien, die da verbaut sind in diesen alten Städten, die ist halt ganz was anderes als das, was wir mit unseren technischen Baustoffen, und was wir da alles an Errungenschaften in den letzten 100 Jahren sozusagen mit ins Bauen aufgenommen haben. Also die haben einfach eine andere haptische Qualität und eine andere Oberflächenqualität und das berührt, glaube ich, die meisten Menschen einfach und natürlich, wenn es um Städtebau geht, ist es auch die Frage von Dichte und was ist wirklich ein städtischer Raum? Wie entsteht der, das empfinden glaube ich auch sehr viele als einen Verlust durch den modernen Städtebau, der da entstanden ist, weil ich kenne ganz wenige Beispiele, wo ich sagen würde, moderner Städtebau bietet dieselbe räumliche, spannende und angenehme Qualität wie die allereinfachsten. Da muss man ja gar nicht weit gehen, oder? Jede kleine Stadt, nicht mal in München, sondern in der Umgebung, wenn man in den Stadtkern reingeht, sagt man, ah ja, da ist es schön, da ist es städtebaulich gefasst und man versteht das Gefüge und so weiter. Und dann ist es auch in jeder Kleinstadt so, kaum ist man einen Kilometer draußen, wird es furchtbar. Ich glaube auch da, also gerade was den Städtebau anbelangt, ist eine Rückbesinnung notwendig, die passiert auch. Die passiert vielleicht teilweise absurd, indem man einfach quasi in mittelalterliche Städte nachbaut, aber das kommt ja auch nicht von ungefähr, das kommt einfach daher, dass der Verlust so groß ist an diesen räumlichen Qualitäten, dass man versucht, den irgendwie jetzt mit vielleicht auch nicht ganz angemessenen Mitteln zu beheben, aber es sollte einen anregen, darüber nachzudenken, woran liegt es denn eigentlich? Warum können unsere modernen Städte das nicht leisten, was die an die alten Städte leisten konnten?
Und ich glaube, es hat viel mit Material, aber auch mit Dichte und Verzicht auf perfekte und optimierte Wohnungsgrundrisse zu tun. Ja, das ist ja diese... Also alle Zeilenbauten, Punkthochhäuser und so weiter, das kommt ja alles aus so einer Optimierungsidee und zwar der Optimierung von der Trennung von Funktionen, optimiertes Wohnen, hier optimierte Produktion, da optimierte Bürogebäude und diese ganze Optimiererei, glaube ich, hat uns auch so ein bisschen in die Sackgasse geführt. Ich glaube, irgendwie so ein robustes Mittelmaß wäre aus meiner Sicht eher ein Optimum, als überall eine Perfektion versuchen zu erreichen.
Friedrich Idam:
Ich bin jetzt quasi wieder gedanklich am Anfang unseres Gesprächs an der Le Corbusier-Kritik. Also wie Sie jetzt den Städtebau besprochen haben, sind bei mir Bilder aufgetaucht vom Plan Voisin, wo Le Corbusier vorgeschlagen hat, quasi die Pariser Altstadt neu zu bebauen mit Wolkenkratzern. Und mir ist eingefallen die Charta von Athen, diese Habitatstrennung. Wie stehen Sie quasi als Gegenentwurf zu den Ideen von Christoph Alexander und seiner Mustersprache für Räume vom städtischen Raum bis zum kleinsten Wohnraum?
Florian Nagler:
Also ich finde das ein superschönes Buch. Habe ich mir vor 25 Jahren mal in Wien gekauft. Und ich lese da immer gern drin, Ich glaube aber, dass es jetzt als Entwurfsanleitung ist es schon irgendwie gescheitert eigentlich, aber es gibt ganz viele oder eigentlich fast jeder Einzelaspekt, den kann man sehr gut nachvollziehen und wie beschrieben wird, wo ist eine schöne Stelle im Garten, wo man sitzt, wo hält man sich gerne auf, wie muss das ausgebildet sein. Und da gibt es ja ganz viele Dinge und auch im Städtebau, die da beschrieben sind. Ich glaube, das ist eine perfekte Analyse unserer menschlichen Bedürfnisse. Die Synthese, finde ich, da ist man wieder auf sich selber zurückgeworfen sozusagen. Wie synthetisiere ich das jetzt? Wie bringe ich das zusammen zu einem guten Entwurf? Aber dass da ganz viele sehr gute analytische Ideen drinstecken oder dass da ein ganz toller Blick auf unser menschliches Dasein, was für uns gut ist, was für uns schlecht ist, drinsteckt, das sehe ich auf jeden Fall so. Also ich finde das ein sehr wertvolles Buch.
Friedrich Idam:
Und es ist ja sehr schön, dass er für uns Architekten was offen lässt, dass er einerseits den Blick schärft, aber uns noch keine Anleitung gibt, wie wir entwerfen sollten, sondern dass das letztlich bei uns bleibt.
Florian Nagler:
Ja, das müssen wir dann doch selber machen.
Friedrich Idam:
Herr Nagler, ich danke Ihnen sehr, sehr herzlich für das Gespräch.
Florian Nagler:
Ja, gerne. Hat viel Spaß gemacht. Danke.