Idam:
Heute zu Gast in Simple Smart Buildings, Claudiu Silvestru. Claudiu Silvestru hat Architektur studiert, ist Mitglied von ICOMOS Austria. ICOMOS ist the International Council of Monuments and Sites, also der internationale Denkmalrat. Und Claudiu Silvestru ist bei ICOMOS auch international tätig in zwei wissenschaftlichen Komitees. Einerseits für die Interpretation und die Vermittlung des kulturellen Erbes und andererseits für Energie und Nachhaltigkeit. Und um genau dieses Themenfeld wird es in unserem heutigen Gespräch gehen. Dienstag, den 10. Dezember 2024, wird in der Kartause Mauerbach eine Tagung stattfinden, die sich eben mit unserem kulturellen Erbe beschäftigt. Die Tagung heißt Circular Heritage, kreislauffähiges Sanieren mit traditionellen Bauweisen. Claudiu, könntest du für unsere Hörerinnen und Hörer zusammenfassen, worum es bei dieser Tagung gehen wird?
Silvestru:
Ja, gerne, aber vielen Dank für die Einladung und auch, dass es so kurzfristig funktioniert hat, dass wir hier unser gemeinsames Projekt vorstellen können. Das Ganze hat angefangen mit der Erweiterung der Arbeitsgruppe, die sich bei ICOMOS Austria aus der Photovoltaik gebildet hat. Wir haben es breiter aufgesetzt und auch die Zirkularität mit reingenommen. Und in dem Zusammenhang haben wir uns überlegt, wie wir einen Fortbildung-Ausbildungskurs für kreislauffähige Sanieren, für Wiederverwendung von Bauteilen eben unter Einbindung dieser historischen Bauweisen, die sehr stark auf Rückbaubarkeit fokussiert sind. Und eben im Gespräch zu dem Aufsetzen dieser Fortbildung hat es den Vorschlag gegeben, eigentlich vom Bundesdenkmalamt, für den wir auch sehr dankbar sind, eben eine Tagung zu veranstalten, quasi als einleitende Veranstaltung zu dem Thema.
Idam:
Die Problematik, die ja in diesem Bereich besteht, ist einerseits der Wunsch, kreislauffähig zu planen, kreislauffähig zu bauen und andererseits die Realität in der Praxis, dass hier einfach das Fachpersonal fehlt, dass das umsetzen kann. Unser Ansatz geht dahin, dass ja Kreislaufwirtschaft, die Wiederverwertung von Bauteilen im baukulturellen Erbe bis vor vielleicht 50 Jahren die Standardstrategie war, dass man eigentlich über Jahrtausende einfach aus materieller Not heraus, aus Mangel heraus Bauteile so oft und so lange wie nur möglich verwendet hat. Und da hat sich natürlich im Laufe der Jahrhunderte ein ganz spezifisches handwerkliches Wissen gebildet, wie man damit umgeht. Dieses Wissen ist ja im Lauf eben dieser letzten 50 Jahre, wo sich die Kreislaufwirtschaft weltweit eigentlich oder zumindest in den Entwicklungsstaaten, in den Industriestaaten zu einer Wegwerfwirtschaft gewandelt hat, ist ja mit diesem Wandel auch dieses Fachwissen über diesen kreislauffähigen Umgang verloren gegangen. Welche Möglichkeiten siehst du, dieses Wissen wieder zu implementieren?
Silvestru:
Wir haben hier mehrere Baustellen, die wir eigentlich angehen müssen, weil sich natürlich die ganzen Rahmenbedingungen in den letzten 50 bis 100 Jahren massiv geändert haben. Es geht einmal um baukulturelle Aspekte, um die Bedeutung von Bauteilen und auch von Bestandsgebäuden, wobei wir uns da mittlerweile leichter tun, gerade beim Bestandsgebäude, weil die Immobilienbranche und die Baubranche das mittlerweile auch so sieht, dass der Bestand eigentlich der Hebel ist, mit dem wir auch unsere Klimaziele erreichen können und dementsprechend auch so ein sehr starker Fokus auf Bestand und Bauen im Bestand gesetzt wird. Ein anderes Feld betrifft die rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich massiv geändert haben, hat sehr viel mit Versicherungen zu tun, mit Gewährleistung, mit prüfbaren Konstruktionen, am Papier prüfbare Konstruktionen vor allem und Zertifizierungen. Das ist ein Thema, was man dann auf den Bestand schwieriger umsetzen kann und wo man sich eben von dem Korsett des Neubaus, für den eigentlich diese ganzen Systeme entwickelt wurden, lösen muss bzw. Schauen muss, was wirklich sinnvoll anwendbar ist und was nicht. Und ein dritter Block betrifft die Umsetzung sowohl in der Planung wie auch in der Ausführung. Wir haben auch in der Ausbildung von Planern vergessen, wirklich auf die einzelnen Materialien zu schauen, auf sinnvolle, lösbare Verbindungen zu schauen. Wir arbeiten uns mit Regeldetails durch, die größtenteils von der Industrie vorgegeben wurden und eben das ist eine sehr stark von der Chemie geprägten Industrie in den letzten Jahrzehnte gewesen. Von dem müssen wir jetzt einmal in der Ausbildung wegkommen. Und in der Ausführung haben wir die Herausforderung, dass Fachkräfte, die eher im historischen, traditionellen oder denkmalgeschützten Bestand arbeiten, dieses Wissen noch zum Teil haben, auch anwenden. Aber um die Masse an Gebäuden anzugehen, was jetzt eigentlich ansteht, ist das viel zu wenig.
Idam:
Wir haben ja einerseits noch einen Bestand an Gebäuden. Ich denke jetzt vor allen Dingen an Wien, aber auch an viele Großstädte in Deutschland, wo ja noch sehr viele Häuser vorhanden sind, die im ausgehenden 19. Jahrhundert gebaut wurden. Diese Bausubstanz aus dem späten 19. Jahrhundert, die ist ja größtenteils noch traditionell gebaut. Also da sind noch nicht die von dir genannten industriellen Baustoffe eingebaut. Da geht es vor allen Dingen um Ziegel in Kalkmörtelbindung. Und diese Verbindungen sind ja leicht lösbar im Gegensatz zu den modernen Klebeverbindungen. Also wenn ich jetzt ganz konkret das Beispiel der Bodenfliesen nehme, eine Bodenfliese oder eine Steinplatte in einem Dickbett-Kalkmörtel ist leicht wieder zu lösen und wieder einzubauen. Eine Fliese oder eine Bodenplatte, welche mit Fliesenkleber am Boden auf einem Zementestrich befestigt wurde, die kann man eigentlich nur noch zerstörend abbauen. Also da ist es ja gar nicht mehr möglich, die abzubauen. Denkst du, dass hier auch generell ein Wandel in der Produktpalette erforderlich wäre?
Silvestru:
Auf jeden Fall. Ich glaube, wir müssen beide Problemfelder angehen. Einmal, wie wir ab jetzt neu bauen, umbauen oder gesamtheitlich neu bauen. Dort muss es diesen Wandel in der Produktpalette geben, damit wir dann wirklich Sortenrein trennen können. Andererseits ist das aber auch so, dass wir uns in der Forschung und auch in der Ausbildung der Planer und der Fachkräfte damit beschäftigen müssen, wie wir Gebäude, die wir mit dem jetzigen Wissensstand nicht sortenrein trennen, wie wir dort möglichst viel herausholen.
Idam:
Da gibt es ja diese große Palette der Häuser, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Die sind einerseits vom Denkmalschutz schon interessant, da geht es um frühe Betonbauten, die sind aber von ihrer bauphysikalischen Performance sehr schlecht, die müssen ertüchtigt werden, auch hier wird es Veränderungen geben. Und dann gibt es diese ganz, ganz große Masse der anonymen Gebäude, also der Einfamilienhäuser, die in den 1960er, 70er Jahren errichtet wurde und auch deren biophysikalische Performance nicht mehr heutigen Standards entspricht. Jetzt wird es darum gehen, in den nächsten Jahren diese Bestandsgebäude zu ertüchtigen. Siehst du in der Strategie, möglichst wenig einzugreifen - dort, wo ein Eingriff ja eigentlich gar nicht möglich ist, weil es ja quasi unmöglich ist, die Baustoffe zu trennen? Oder siehst du in der Forschung Potenziale, dass wir vielleicht in einem Jahrzehnt in der Lage sind, Bauteile, Mischbauweisen, Kompositbaustoffe zu trennen, wo wir heute noch nicht in der Lage sind, die zu trennen und wieder in einen Kreislauf zu bringen?
Silvestru:
Also grundsätzlich glaube ich, es darf keine Denkverbote geben, ob die Reise dann in Richtung Trennbarkeit, zukünftige Trennbarkeit von Bauteilen, die wir heute noch nicht trennen können oder der Verlängerung ihrer Lebenserwartung durch andere Maßnahmen geht. Meiner Meinung nach muss man alle Möglichkeiten untersuchen, aber grundsätzlich, das betrifft eigentlich die Masse an Gebäuden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, müssen wir von dieser energieausweisorientierten Betrachtungsweise herausfinden und auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass diese Objekte und das, was gebaut ist, auch wenn es vielleicht nicht den ästhetischen Vorstellungen unserer Hochglanzmagazine entspricht, einen Wert hat. Es hat einen Identitätswert für Nutzer und Nutzerinnen, es hat einen repräsentativen Wert und es hat auch einen Materialwert. Und in die Richtung muss man dann muss man ein bisschen denken, bevor man überhaupt eine Überlegung startet, wie man mit einem Gebäude umgeht. Es geht nicht allein um die Energieperformance im Vergleich zu einem Neubau. Weil wenn man das so betrachtet, dann wischt man eigentlich alle Ressourcen und die ganze Energie, die man in der Erstellung des Gebäudes gesteckt hat, einfach weg.
Idam:
Diese Energie, diese Ressourcen, die man in die Erstellung eines Gebäudes gesteckt hat, die wurde ja bis vor kurzem als die sogenannte graue Energie bezeichnet. Ich habe jetzt in einer deutschen Publikation gelesen, dass die mittlerweile als goldene Energie bezeichnet wird. Also da sehe ich schon tendenziell einen Wandel des Zeitgeistes und quasi eine Aufwertung dieser Energie, die in den Gebäuden, in der Substanz drinnen steckt.
Silvestru:
Ja, das wäre jetzt eine Vermutung meinerseits, aber ich glaube, der Begriff oder die Bezeichnung der goldenen Energie hat ein bisschen was mit dem Begriff des Betongolds zu tun und auch mit der Situation, dass die Immobilienbranche den Bestand immer mehr als Asset, als Potenzial, als Wert betrachten muss und dementsprechend auch diese Lenkung von Grau, nicht definiert, trüb, ist halt so und müssen damit umgehen auf Gold, eine Ressource, die man schätzen muss und die man entsprechend aktivieren muss.
Idam:
Wenn man die Wirtschaftsprognosen, die aktuell erstellt werden, betrachtet, gehen wir in Österreich und Deutschland eher einer Rezession hingegen. Im Baugewerbe, denke ich, ist sie bereits deutlich spürbar. Das heißt, welche Potenziale siehst du in den Strategien der Vergangenheit, eben auch in Perioden der Rezession, in Perioden, wo es wirtschaftlich schwieriger war und trotzdem Häuser gebaut wurden, gute Häuser gebaut wurden, Häuser, die zum Teil oder zum großen Teil auch heute noch genutzt werden. Was können wir deiner Meinung nach aus diesen vergangenen, aus diesen vielleicht materiell ärmeren Zeiten als heute für das aktuelle, für das zukünftige Bauen lernen?
Silvestru:
Ja, zum einen, also zum Thema Rezession, ja, das stimmt, wenn man sich den Neubau vor allem anschaut. Was den Bestand angeht, ist das nicht so klar und trifft nicht unbedingt in der Masse zu, weil eben über die EU-Taxonomie-Verordnung größere Portfoliohalter gezwungen werden, ihren Bestand anzugehen, auf einem zeitgemäßen energetischen Standard zu heben und dort muss man halt sinnvoll und eben nicht nur rein energieausweisorientiert ansetzen. Zum anderen, was man aus den vergangenen Epochen lernen sollte oder mitnehmen sollte, das ist eigentlich Hausverstand, wir sollten Gebäude genauso wie sonstige Alltagsgegenstände reparierbarer erzeugen und dem Nutzer dann auch die erforderlichen Anweisungen zu dieser Pflege und Reparatur mitgeben und gegebenenfalls auch die Möglichkeit, sich in dem Bereich niederschwellig fortzubilden. Also wenn man sich einfach nur den Vergleich zwischen einem Automobil und einer Immobilie anschaut, was man beim Auto als Bedienungsanleitung bekommt, egal ob man das jetzt Masse prozentmäßig vergleicht oder Volumen oder wie auch immer, ist das, was man bei einem Gebäude an Bedienungsanleitung bekommt, sehr weit weg davon entfernt. Den meisten, vielleicht als plakatives Beispiel, den meisten Nutzer ist es nicht bewusst, dass sie mindestens einmal jährlich ihre Fenster einstellen sollten.
Idam:
Und bei der Tagung, die am 10. Dezember in Mauerbach stattfinden wird, da wird es ja genau um diese Themen gehen. Da werden einerseits Vorträge stattfinden zur Kulturgeschichte des Recyclings, Vorträge über die aktuellen juristischen Rahmenbedingungen. Wir werden aber auch in der Kartause Mauerbach die Möglichkeit haben, zu sehen, wie ganz praktisch an diese Dinge herangegangen wird. Und ich denke, auch hier unser Gespräch, unser Podcast ist vielleicht eine Möglichkeit, die Menschen zu ermutigen, auch wieder selbst Hand anlegen. Welche Weiterbildungsangebote gibt es bereits in diesem Bereich oder umgekehrt, was denkst du in dieser Richtung an, was hier an Verbesserungen des Weiterbildungsangebots stattfinden könnte?
Silvestru:
Dieses Projekt, das wir als ICOMOS-Arbeitsgruppe angefangen haben und jetzt mit Unterstützung vom Bundesdenkmalamt fortführen, basiert eben auf dieser Erkenntnis, dass das Ausbildungs- und Fortbildungsangebot mangelhaft, lückenhaft im besten Fall ist bzw. eigentlich kaum existiert. Und aus diesem Grund wollen wir auch in Zusammenarbeit mit der European Heritage Academy dieses Kursangebot auf die Beine stellen, welches sich sowohl an Planer unterschiedlicher Gewerke, an Immobilienentwickler, weil letztendlich die Immobilienentwickler sind, die ein Gefühl dafür bekommen müssen, was man eigentlich aus ihren alten Gebäuden rausholen kann und was das eigentlich für ein Schatz ist. Und auch an Fachkräfte, an Handwerker, die sich eben in diese Richtung spezialisieren müssen, um fachgerecht, in dem Fall zum Beispiel Bauteile schadensfrei rauslösen zu können.
Idam:
Es gibt ja einen Satz, der besagt, schlechte Zeiten sind gute Zeiten für den Denkmalschutz. Wenn ich diesen Satz jetzt abwandle und behaupte, schlechte Zeiten, und damit ist gemeint materiell schlechte Zeiten, sind gute Zeiten für kreislauffähiges Bauen und Sanieren, wie denkst du darüber?
Silvestru:
Ich glaube, ja, schlechte Zeiten öffnen uns die Augen auf gewisse Probleme. Wir müssen aber eine Basis setzen, die dann auch in besseren Zeiten fortgeführt wird. Das heißt, es geht nicht darum, jetzt eine Zwischenlösung zu finden oder uns jetzt vorübergehen mit sowohl architektonisch wie auch bautechnischen Lösungen abzufinden, die vielleicht nicht so prickelnd sind, vielleicht nicht unserer Vorstellung entsprechen, aber irgendwie kommen wir über die Runden. Sondern es geht darum, aus dieser Erkenntnis, dass wir einfach nicht unendlich neu produzieren können. Dass wir auch eine sinnvolle, aber auch ästhetisch anspruchsvolle Architektursprache entwickeln können, dass wir sinnvolle und auch technisch wertvolle Lösungen entwickeln können. Es geht meiner Meinung nach nicht darum, so zu bauen, wie im 19. Jahrhundert gebaut wurde, sondern es geht darum, aus diesen historischen, traditionellen Bauten möglichst viel Wissen zu nehmen, aus den guten und weniger guten Sachen der letzten Jahrzehnte auch möglichst viel Wissen zu nehmen und zu schauen, was wir jetzt mit diesem geballten Wissen an sinnvolle Konstruktionen produzieren können.
Idam:
Für alle Hörerinnen und Hörer, die etwas mehr von diesem geballten Wissen, von dem du jetzt gesprochen hast, mitnehmen möchten, denen empfehlen wir die Tagung in Mauerbach. Ich werde in die Shownotes zu diesem Podcast auch die Einladung und das Programm dieser Tagung stellen. und Claudiu, ich danke dir sehr herzlich für dieses Gespräch.
Silvestru:
Vielen Dank für die Einladung und wir sehen uns spätestens in Mauerbach.
Wir sehen uns spätestens am 10. Dezember in der Kartause Mauerbach. Mauerbach liegt nordwestlich am Stadtrand von Wien.